Sonntag, 31. August 2014




Schöner als der beachtliche Mond und sein geadeltes Licht,
Schöner als die Sterne, die berühmten Orden der Nacht,
Viel schöner als der feurige Auftritt eines Kometen
Und zu weit Schönerem berufen als jedes andre Gestirn,
Weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr hängt, ist die Sonne.

Schöne Sonne, die aufgeht, ihr Werk nicht vergessen hat
Und beendet, am schönsten im Sommer, wenn ein Tag
An den Küsten verdampft und ohne Kraft gespiegelt die Segel
Über dein Aug ziehn, bis du müde wirst und das letzte verkürzt.

Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein ...
Nichts Schönres als den Stab im Wasser zu sehen und den Vogel oben,
Der seinen Flug überlegt, und unten die Fische im Schwärm,
Gefärbt, geformt, in die Welt gekommen mit einer Sendung von Licht.

Schöne Sonne, der vom Staub noch die größte Bewundrung gebührt,
Drum werde ich nicht wegen dem Mond und den Sternen und nicht,
Weil die Nacht mit Kometen prahlt und in mir einen Narren sucht,
Sondern deinetwegen und bald endlos und wie um nichts sonst
Klage führen über den unabwendbaren Verlust meiner Augen.
Ingeborg Bachmann 

Samstag, 30. August 2014










Im Beginn liegt Deine Bereitschaft
Zur Reinheit einer Blume zu wachsen,
die weit dem Licht sich öffnet.
Zur Mitte wieder findend
Mit Anerkennung, Hingabe und Dankbarkeit
Aus deinem weit geöffneten Herzen

Freitag, 29. August 2014




Stellen Sie sich einen Patienten vor, der zum Arzt geht
und ihm sagt, woran er leidet. 

Der Arzt sagt: „Ja, Ihre Symptome kenne ich sehr gut. Wissen Sie, was ich jetzt tun werde? Ich verschreibe Ihnen eine Arznei für Ihren Nachbarn." 
Der Patient erwidert: „Vielen Dank, Herr Doktor, das wird mir sehr helfen."

Ist das nicht absurd? Aber so handeln wir alle. 


Derjenige, der schläft, denkt immer, es würde ihm bessergehen, wenn ein anderer sich ändert. 
Sie leiden, weil Sie schlafen, aber Sie denken sich: „Wie schön könnte das Leben sein, wenn die anderen sich ändern würden; wie schön könnte das Leben sein, wenn mein Nachbar sich änderte, oder meine Frau, oder mein Chef."

Wir möchten immer, dass jemand anderes sich ändert, 

damit es uns gutgeht. 

Doch sind Sie noch nie auf den Gedanken gekommen, dass selbst dann, 
wenn sich Ihre Frau oder Ihr Mann ändert, Ihnen nicht viel geholfen wäre. 
Sie sind genauso verwundbar wie vorher, genauso ein Narr wie vorher, schlafen genauso wie vorher.

Sie sind derjenige, der sich ändern muss, der die Arznei zu schlucken hat. 

Doch Sie bestehen darauf: „Ich fühle mich gut, weil die Welt in Ordnung ist."

Irrtum! 
Die Welt ist in Ordnung, weil ich mich gut fühle. 
Das ist die Botschaft, die uns alle Mystiker verkünden.


Anthony de Mello

Donnerstag, 28. August 2014






Der heutige Zustand der Welt, das ganze Leben ist krank.
Wenn ich Arzt wäre und man mich fragte, was rätst du?
Ich würde antworten: 
Schaffe Schweigen! Bringe die Menschen zum Schweigen.

Gottes Wort kann so nicht gehört werden.
Und wenn es unter der Anwendung 
lärmender Mittel geräuschvoll hinausgerufen wird,
daß es selbst im Lärm gehört werde,
so ist es nicht mehr Gottes Wort. 

Darum schaffe Schweigen!
Sören Kierkegaard

Mittwoch, 27. August 2014





indem man sein eigenes Erbarmen genießt,

eine Art von Erbarmen, das nichts verändert;

der bloße Verzicht, sich in das Wagnis eines Urteils einzulassen,

ist ja noch keine Gerechtigkeit, geschweige denn Güte oder sogar Liebe.

Er ist einfach unverbindlich, weiter nichts.

Nun ist aber gerade die Unverbindlichkeit,

das Schweigen zu einer Untat, die man weiß,

wahrscheinlich die allergemeinste Art unserer Mitschuld.
Max Frisch

Dienstag, 26. August 2014



Wir reden
Wir reden uns
immer weiter auseinander

Vielleicht
schweigen wir uns
wieder zusammen
Lothar Zenetti


Montag, 25. August 2014




Es herrscht das ganze Leben lang
eine Art Kampf zwischen uns und den Dingen!

Entweder wir gehen in ihnen auf,
oder aber wir absorbieren und assimilieren sie.

Das Feld gehört dem Stärkeren,
das heißt dem Ungeteilteren,
das heißt schließlich dem inniger mit Gott vereinten.

 

Teilhard de Chardin

Sonntag, 24. August 2014



Was siehst du?

Der Meister hob hervor, dass die Welt, wie sie die meisten Leute sehen, nicht die Welt der Wirklichkeit ist, sondern eine Welt, die ihr Kopf hervorgebracht hat.

Als ein Schüler das in Frage stellen wollte, nahm der Meister zwei Stöcke und legte sie in Form eines T auf den Boden. Dann fragte er den Schüler: „Was siehst du hier?"

„Den Buchstaben T", antwortete er.

„Genauso habe ich es mir vorgestellt", sagte der Meister. „Es gibt von sich aus keinen Buchstaben T; das T ist die Bedeutung, die du ihm gibst. Was du vor dir siehst, sind zwei abgebrochene Äste in Form von Stöcken."


Anthony de Mello

Samstag, 23. August 2014




Also, die Dinge sind tot. (2)

Zwar gibt es noch viele,
die den Tod der Dinge nicht wahrhaben wollen.

Sie ertragen die Nachricht nicht.
Sie gleichen den Müttern,
die ein Jahrzehnt die Nachricht verweigerten,
ihre Söhne seien auf den Schneefeldern zugeweht worden und sagten
Ich weiß es, er lebt noch.

Eines Tages aber werden es alle einsehen und sich gestehen müssen,

daß die Dinge tot sind.

Dann wird in den Zeitungen stehen:
Wie jetzt erst bekannt wird, sind die Dinge verstorben.

Wir werden darauf noch zurückkommen.  

Erhart Kästner

Freitag, 22. August 2014




Nur für heute
werde ich mich an die Umstände anpassen,
ohne zu verlangen,
dass die Umstände sich
an meine Wünsche anpassen.



Johannes XXIII


Donnerstag, 21. August 2014



Was siehst du?

Der Meister hob hervor, dass die Welt, wie sie die meisten Leute sehen, nicht die Welt der Wirklichkeit ist, sondern eine Welt, die ihr Kopf hervorgebracht hat.

Als ein Schüler das in Frage stellen wollte, nahm der Meister zwei Stöcke und legte sie in Form eines T auf den Boden. Dann fragte er den Schüler: „Was siehst du hier?"

„Den Buchstaben T", antwortete er.

„Genauso habe ich es mir vorgestellt", sagte der Meister. „Es gibt von sich aus keinen Buchstaben T; das T ist die Bedeutung, die du ihm gibst. Was du vor dir siehst, sind zwei abgebrochene Äste in Form von Stöcken."


Anthony de Mello

Mittwoch, 20. August 2014




Augen und Augenlider

Nachdem sich einer seiner Schüler eines ernsten Vergehens schuldig gemacht hatte, erwarteten alle, dass der Meister ihn exemplarisch bestrafen würde.

Als ein voller Monat vorübergegangen war, ohne dass er etwas getan hatte, machte man dem Meister Vorwürfe:

„Wir können nicht übersehen, was passiert ist. Schließlich hat uns Gott Augen gegeben."

„Ja", erwiderte der Meister, „und Augenlider."
 
Anthony de Mello

Dienstag, 19. August 2014





Übergewechselt

Um denselben Grundsatz zu verdeutlichen, erzählte der Meister bei anderer Gelegenheit, wie er als Kind einmal seinen Vater - einen berühmten Politiker - scharfe Kritik üben hörte an einem Parteianhänger, der zur Opposition übergewechselt war.

„Aber Vater", sagte er ihm, „ein andermal warst du voll des Lobes über den Mann, der die Opposition verließ, um sich deiner Partei anzuschließen."

„Sehr richtig, mein Sohn! Daraus magst du diese wichtige Wahrheit in deinem jungen Leben lernen:
Diejenigen, die zur anderen Partei überwechseln, sind Verräter,- diejenigen,
die zur eigenen Partei kommen, sind Bekehrte."
 
Anthony de Mello

Montag, 18. August 2014






Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, 
so würde euch geholfen;

durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. 

Aber ihr wollt nicht.
Jesaja 30,15, nach Martin Luther



Sonntag, 17. August 2014




Wo sollen wir Stille finden? (2)




Das bedeutet „Wüste" in deinem geistlichen Leben.

Eine Stunde am Tag,

einen Tag im Monat, acht Tage im Jahr,

länger, wenn es nötig ist,

mußt du alles und alle verlassen,

um dich allein mit Gott zurückzuziehen.

Wenn du das nicht suchst,

wenn du das nicht liebst, mach dir keine Illusionen.

Anders wirst du nie zum kontemplativen Gebet kommen.

Denn nicht allein sein wollen -

obwohl man es könnte-,

um die innige Nähe Gottes zu kosten,

ist ein Zeichen, daß es an dem Grundelement

der Beziehung zum allmächtigen Gott fehlt: an der Liebe.

Ohne Liebe aber ist keine Offenbarung möglich. 

Carlo Carretto




Samstag, 16. August 2014



Elia ging in die Wüste.
Er wanderte vierzig Tage
und vierzig Nächte
bis zum Berg Gottes, dem Horeb.
Er kam dort in eine Höhle
und blieb über Nacht.
Und siehe, das Wort des Herrn kam zu ihm:

Was machst du hier, Elia?
Geh heraus, der Herr wird vorübergehen.

Und ein großer, starker Wind,
der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach,

kam vor dem Herrn her;
der Herr aber war nicht im Wind.
Nach dem Wind kam ein Erdbeben;
aber der Herr war nicht im Erdbeben.
Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer;
aber der Herr war nicht im Feuer.

Und nach dem Feuer
kam ein stilles sanftes Sausen.

Als das Elia hörte,
verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel,
ging hinaus





Freitag, 15. August 2014



Wo sollen wir Stille finden? (1)


Wo gibt es noch Orte der Stille? Die Wüste ist weit weg ...


Wenn das kontemplative Leben nur hinter Klostermauern

oder im Schweigen der Wüste möglich wäre,

dann müßten wir, um gerecht zu sein,

jeder Familienmutter ein kleines Kloster geben

und den Luxus einer kleinen Wüste dem Hilfsarbeiter,

der im Lärm einer Stadt leben muß,

um hart sein Brot zu verdienen.


So sieht die Wirklichkeit aus,

in der viele, die meisten Menschen leben.


Wenn du nicht in die Wüste gehen kannst,

mußt du dennoch in deinem Leben Wüste machen.

Bring ein Stück Wüste in dein Leben,


verlaß von Zeit zu Zeit die Menschen,

such die Einsamkeit,

um im Schweigen und anhaltenden Gebet deine Seele zu erneuern.

Das ist unentbehrlich.

Carlo Caretto

Donnerstag, 14. August 2014






Also, die Dinge sind tot. (1)


Nicht Gott ist tot, aber die Dinge;
es war ein Nachrichten-Versehen, ein Übermittlungs-Fehler,
eine Falschmeldung.


Die Dinge sind tot, 

und wir (das war richtig) wir waren es,
die sie erforschten, erwürgten, umbrachten.

Von jeher hatten die Dinge von der Mühe gelebt,
die man sich um sie machte.

Schwer begreiflich; aber um Mühe gaben sie Leben.

Man wollte sie mühelos, man wollte sie hergestellt haben.
Das gelang auch. 


Aber 
um den 
Preis ihres Lebens.


Erhart Kästner