Wer im Zustand einer Emotion
entscheiden zu können
glaubt,
Er wird entschieden.
Peter Horton
Teilhard de Chardin
„Entschuldigung", sagte ein Fisch aus dem Ozean zu einem anderen.
„Du bist älter und erfahrener als ich und kannst mir wahrscheinlich helfen.
Sag mir, wo kann ich die Sache finden, die man Ozean nennt?
Ich habe vergeblich überall danach gesucht."
„Der Ozean", sagte der ältere Fisch, „ist das, worin du jetzt schwimmst."
„Das? Aber das ist ja nur Wasser. Ich suche den Ozean", sagte der
jüngere Fisch sehr enttäuscht und schwamm davon, um anderswo zu suchen.
SCHICKSALHAFTES GEBET
Der
große japanische General Nobunaga beschloss anzugreifen, obgleich
seine Männer nur im Verhältnis eins zu zehn denen des Feindes
gegenüberstanden. Er war von seinem Sieg überzeugt, aber seine Soldaten
waren voller Zweifel. Auf dem Weg in die Schlacht hielten sie an einem
Shinto-Schrein. Nachdem Nobunaga dort gebetet hatte, kam er heraus
und sagte: „Ich werde nun eine Münze werfen. Wenn es Kopf ist, werden
wir gewinnen, wenn Zahl, verlieren wir. Das Schicksal wird sich uns zu
erkennen geben."
Er warf die Münze. Es war Kopf. Die Soldaten waren so kampfbesessen, dass sie die Schlacht mit Leichtigkeit gewannen.
Am nächsten Tag sagte ein Adjutant zu Nobunaga: „Niemand kann den Weg des Schicksals ändern."
„Ganz richtig", erwiderte Nobunaga und zeigte ihm eine gefälschte Münze, die auf beiden Seiten einen Kopf trug.
Macht des Gebetes? Macht des Schicksals?
Oder die Macht eines Glaubens, der überzeugt ist, irgendetwas werde passieren?
Anthony de Mello
Nichts war leichter,
als von einer Leiter zur anderen
hinüber zuwechseln -
über den Abgrund.
Aber im Traum mißlang es dir,
weil du des Absturzes
Möglichkeit
durchlebtest.
Dag Hammarskjöld
Vielleicht ist es für uns heute deshalb so schwer "etwas" mit Gott anzufangen.
Wir meinen, wir müßten und könnten alles begreifen
- vielleicht nicht jetzt und heute aber ganz bestimmt morgen ...
Gott kann man nicht be-greifen.
Wir glaubten
der Technik und Wissenschaft sei alles möglich.
Man müsse ihr nur Zeit dazu geben.
Diese blinde Wissenschaftsgläubigkeit bröckelt ab. Zurecht.
Doch darf nicht der Fehler gemacht werden,
nun alles was mit Technik zu tun hat
ab- und einzureißen.
Dieses Abbröckeln führt vielleicht andererseits dazu,
daß wir "moderne Menschen" uns wieder auf die Suche nach Gott machen.
Wir erkennen, daß wir nicht alles machen können, daß alles machbar ist, daß es auch noch
"mehr als alles" gibt.
Ich glaube, daß wir dieses nur mit ihm, bei ihm, durch ihn finden können.
Bei der Erkenntnis,
daß wir nicht alles machen können,
dürfen wir jedoch nicht in den Fehler verfallen,
in Gott nur einen Lückenbüßer für unsere Mängel und Fehler zu suchen.
Ich muß immer wieder neu erkennen, daß Gott sich mir zeigt,
daß ich ihn aber letztlich nie finden werde, sondern daß er sich mir immer neu freiwillig zeigen wird.
Chance der Bärenraupe über die Straße zu kommen
keine Chance
sechs meter asphalt
zwanzig autos in der minute
fünf laster
ein schlepper
ein pferdefuhrwerk
die bärenraupe weiß nichts von autos
sie weiß nicht wie breit der asphalt ist
weiß nichts von fußgängern, radfahrern, mopeds
die bärenraupe weiß nur, daß jenseits grün wächst
herrliches "grün", vermutlich freßbar
sie hat lust auf grün
man müßte hinüber
K E I N E C H A N C E !!!!!!!!!!!!
sechs meter asphalt
sie geht los
geht los auf stummelfüßen
zwanzig autos in der minute
geht los ohne hast
ohne furcht
ohne hektik
fünf autos
ein schlepper
ein pferdefuhrwerk
geht los
und geht
und geht
und geht
und k o m m t a n
Rudolf Otto Wiemer
HILDEGARD VON BINGEN
Der »Erfolg«
gab dir etwas zu verlieren.
Darum
- wie in einer plötzlichen Empfindung für Gefahr -
diese Frage, ob es dir (ob irgendjemandem) »glücken« kann
beginnst du
in dieser Weise,
dich unwillkürlich in deinem Nachruf zu spiegeln,
so schreibst du deine Grabschrift -
in doppeltem Sinn.
Tu, was du kannst -
und die Aufgabe
wird leichter in deiner Hand ruhen,
so leicht,
dass du erwartungsvoll dich
der schweren Prüfung entgegenstreckst,
die folgen kann.
Dag Hammarskjöld
UN-Generalsekretär (1953-61)
Den Rahmen
unseres Schicksals
dürfen wir
nicht wählen
Des Rahmens
Inhalt
aber
geben
WIR.
Dag Hammarskjöld
Bete,
daß deine Einsamkeit
der Stachel werde,
etwas zu finden,
wofür du leben kannst,
und groß genug,
um dafür zu sterben
Dag Hammarskjöld
WESSOBRUNNER
GEBET
Das
erfuhr ich bei den Menschen als das erstaunlichste Wissen:
dass
die Erde nicht war noch das Firmament,
weder
Baum, noch Berg,
kein
Stern und auch die Sonne nicht schien,
noch
der Mond leuchtete und auch das herrliche Mees nicht war.
Als
da nichts existierte an Enden und Wenden,
da
war der eine allmächtige Gott,
das
freigebigste aller Wesen, und bei ihm waren viele
herrliche
Geister
Und
Gott ist heilig …
Gott,
allmächtiger,
der
Du Himmel und Erde erschaffen und den Menschen so viel Gutes gegeben hast,
gewähre
mir in Deiner Güte
rechten
Glauben und guten Willen,
Weisheit
und Klugheit und Kraft,
dem
Teufel zu widerstehen
und
das Böse zu meiden
und
Deinen Willen zu tun.
Erstes christliches Gedicht in
althochdeutscher Sprache
Meine frühe Kindheit
Hat auf sonniger Straße getollt.
Hat nur ein Steinchen,
Ein Blatt zum Glücklichsein gewollt.
Jahre verwelkten.
Ich suche matt
Jene sonnige Straße heut
Wieder zu lernen
Wie man am Blatt
Wie man am Steinchen
Sich freut
Joachim Ringelnatz
Wer vertraut …
Wer einen Weg geht, den er nie
begangen,
der ihn hinweg führt aus gewohntem
Raum,
wer sich ganz einlässt auf ein solches
Unterfangen,
der vertraut.
Wer lange pilgert, wird sich manchmal
fragen,
ob er ans Ziel kommt, und ist nie
gewiß.
Wer vorwärts schreitet ohne Furcht und
ohne Zagen,
der vertraut.
Balthasar
Wenn der Leib unaufhörlich
in Bewegung gehalten wird,
wird er müde.
Wenn der Geist unaufhörlich
in Bewegung gehalten wird,
wird er sorgenvoll;
und Sorge verursacht Erschöpfung.
Das Wesen des Wassers ist,
daß es klar wird,
wenn man es in Ruhe läßt,
und still,
wenn man es nicht stört.
DSCHUANG DSI
EVA ZELLER
Steine
Aus Ozeanriff und Felsengebirge
zerteilt und zertrümmert
Brandung und Wetter
knackend, krachend und knirschend
gespaltenes Steinzeug.
Geschürf, Gebröckel, Geschiebe,
Geröll der Gezeiten,
geschlagen, gerieben, geschliffen,
wird Hügel zu ebenem Land.
Wer räumt diesen Raum,
wer träumt diesen Traum
der Geschichte,
verwandelt Kiesel zu Riesel
und Körner zu Sand?
Es ist wohl die Hand des Einen -
sie spielt mit den Steinen ...
Karl Michael Ranftl
Freude dem, der hier herkommt,
Frieden dem, der hier verweilt und
Segen dem, der von hier wieder weiterzieht.
Pilgersegen von Hohenpeißenberg aus dem Jahre 1730
Niemals an sich
zweifeln
ist Eitelkeit.
Niemals an sich
verzweifeln,
ist Weisheit.
Marcel Jouhandeau
Steine
Aus Ozeanriff und Felsengebirge
zerteilt und zertrümmert
Brandung und Wetter
knackend, krachend und knirschend
gespaltenes Steinzeug.
Geschürf, Gebröckel, Geschiebe,
Geröll der Gezeiten,
geschlagen, gerieben, geschliffen,
wird Hügel zu ebenem Land.
Wer räumt diesen Raum,
wer träumt diesen Traum
der Geschichte,
verwandelt Kiesel zu Riesel
und Körner zu Sand?
Es ist wohl die Hand des Einen -
sie spielt mit den Steinen ...
Karl Michael Ranftl
Lübeck Marienkirche Astronomische Uhr
aus dem Stundenbuch
Mach mich zum Wächter
deiner Weiten,
mach mich zum Horchenden am Stein,
gib mir die Augen auszubreiten
auf deiner Meere Einsamsein;
laß mich der Flüsse Gang begleiten
aus dem Geschrei zu beiden Seiten
weit in dem Klang der Nacht hinein.
Schick mich in deine leeren Länder,
durch die die weiten Winde gehen,
wo große Klöster wie Gewänder
um ungelebte Leben stehn.
Dort will ich mich zu Pilgern halten,
von ihren Stimmen und Gestalten
durch keine Trug mehr abgetrennt
und hinter einem blinden Alten
des Weges gehen, den keiner kennt.
Rainer Maria Rilke
CHANCE
Zum Berg gehen
den Fels herausreißen
aus seiner Lethargie
ihm Flügel zusprechen
Steh auf
aus dem Staub
wirf dein Gewicht
in die Wolken
Diese Chance
gibt dir das Wort
diese Chance
Jetzt
Rose Ausländer
Schwer ist zu Gott der Abstieg. Aber schau:
du mühst dich ab mit deinen leeren Krügen,
und plötzlich ist doch: Kind sein, Mädchen, Frau -
ausreichend, um ihm endlos zu genügen.
Er ist das Wasser: bilde du nur rein
die Schale aus zwei hingewillten Händen,
und kniest du überdies -: ER wird verschwenden
und deiner größten Fassung über sein.
RAINER MARIA RILKE
GEBURT
ich wurde nicht gefragt
bei meiner zeugung
und die mich zeugten
wurden auch nicht gefragt
bei ihrer zeugung
niemand wurde gefragt
ausser dem Einen
und der sagte
ja
ich wurde nicht gefragt
bei meiner geburt
und die mich gebar
wurde auch nicht gefragt
bei ihrer geburt
niemand wurde gefragt
ausser dem Einen
und der sagte
ja
KURT MARTI
Auf der Flucht
vor dem Gespräch
ins Geschwätz,
auf der Flucht
vor dem Schweigen
in das Lärmen,
auf der Flucht
vor mir selbst
in die Masse -
wird Gott
mich nicht
ergreifen können.
Da ich nicht
zu mir gekommen bin,
wird Er mich nicht
treffen können.
MARTIN GUTL
Prediger 3,1.10-11