Sonntag, 31. Juli 2022

Alles in der Welt - José Ortega y Gasset

 



Alles
in der Welt ist
merk-würdig und wunder-bar
für ein Paar wohlgeöffneter Augen.
 
José Ortega y Gasset




Samstag, 30. Juli 2022

Die einfachen Dinge des Lebens (2) - Anthony de Mello

 


DIE EINFACHEN DINGE DES LEBENS (2)

Wenn Sie das Leben und die einfachen Sinnesfreuden wirklich genießen würden - 
Sie wären überrascht.
 
Sie würden die außergewöhnliche Disziplin eines Tieres entwickeln.
Ein Tier isst niemals zuviel, 
in seiner natürlichen Umgebung wird es nie zu dick.
Es wird niemals etwas essen oder trinken, das seiner Gesundheit schaden könnte: 
Sie würden nie ein Tier Zigaretten rauchen sehen. 

Es bewegt sich soviel, wie es braucht - 
beobachten Sie einmal Ihre Katze nach ihrer Mahlzeit, 
sehen Sie, wie sie sich ausruht 
und wie sie mit einem Sprung wieder in Aktion ist, 
sehen Sie, wie geschmeidig ihre Glieder und wie lebendig ihr Körper ist.
 
Das haben wir verloren. 
Wir sind nur noch kopfgesteuert, 
haben uns in unseren Ideen und Idealen verloren, 
und ständig heißt es: weiter, weiter.
 
Auch stehen wir in einem inneren Konflikt, den Tiere nicht haben. 

Wir machen uns selbst immer wieder Vorwürfe 
und plagen uns mit Schuldgefühlen. 

Sie werden wissen, wovon ich spreche.


Anthony de Mello



Freitag, 29. Juli 2022

Die einfachen Dinge des Lebens (1) - Anthony de Mello

 


DIE EINFACHEN DINGE DES LEBENS (1)

Leider haben sich die Menschen irgendwie verrannt, sie werden immer abhängiger,
da sie die schönen Dinge des Lebens nicht zu genießen verstehen.

In den siebziger Jahren appellierte Präsident Carter an die Amerikaner,
den Gürtel enger zu schnallen.

Dabei dachte ich mir: Er sollte nicht an sie appellieren, mehr zu sparen,
sondern sie daran erinnern, das, was sie haben, mehr zu genießen.

Ich glaube, die meisten Menschen in reichen Ländern haben das verlernt.
Sie brauchen immer teurere technische Spielereien,
sie können sich nicht an den einfachen Dingen des Lebens erfreuen.

Wohin man geht, ob im Supermarkt oder in Wartesälen,
ertönt die schönste Musik, aber ich habe noch keinen getroffen,
der ihr je gelauscht hätte - keine Zeit, keine Zeit.
Sie sind schuldig, sie haben keine Zeit, das Leben zu genießen. 
Sie sind überlastet: weiter, weiter.


Anthony de Mello




Donnerstag, 28. Juli 2022

Es gibt jene - Khalil Gibran

 




                                Es gibt jene, die von dem Vielen,
                                das sie haben, wenig geben -

                                und sie geben um der Anerkennung willen,
                                und ihr verborgener Wunsch verdirbt ihre Gaben.

                                Und es gibt jene, 
                                die wenig haben und alles geben.
                                Das sind die, die an das Leben
                                und die Fülle des Lebens glauben,
                                und ihr Beutel ist nie leer.

                                            Khalil Gibran



Mittwoch, 27. Juli 2022

Verschmerzen - Rose Ausländer

 



             Verschmerzen

             Schön
             wenn der verwundete Mensch
             seine Narben verschmerzt

            sich gesellt
            zum stillen Stein
            zum beredeten Wasserfall

            und sich erkennt
            im Blick
            der Nachbarpupille


                      rose ausländer




Dienstag, 26. Juli 2022

Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte (2) - Antoine de Saint-Exupéry

 



Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte. (2)

Schicke mir im rechten Augenblick jemand,
der den Mut hat,
mir die Wahrheit in Liebe zu sagen.
Ich möchte Dich und die anderen immer
aussprechen lassen.
Die Wahrheit sagt man nicht sich selbst,
sie wird einem gesagt.

Ich weiß, dass sich viele Probleme dadurch
lösen, dass man nichts tut.
Gib, dass ich warten kann.
Du weißt, wie sehr wir der Freundschaft
bedürfen.
Gib, dass ich diesem schönsten, schwierigsten,
riskantesten und
zartesten Geschenk des Lebens gewachsen bin.

Verleihe mir die nötige Phantasie,
im rechten Augenblick ein Päckchen Güte,
mit oder ohne Worte, an der richtigen Stelle
abzugeben.

Bewahre mich vor der Angst, ich könnte
das Leben versäumen.
Gib mir nicht, was ich mir wünsche,
sondern was ich brauche.

Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte!

Antoine de Saint-Exupéry

Montag, 25. Juli 2022

Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte (1) - Antoine de Saint-Exupéry

 




Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte. (1)


Ich bitte nicht um Wunder und Visionen, Herr, 
sondern um Kraft für den Alltag. 


Mach mich findig und erfinderisch, 
um im täglichen Vielerlei und Allerlei 
rechtzeitig meine Erkenntnisse und Erfahrungen 
zu notieren, von denen ich betroffen bin. 

Mach mich griffsicher 
in der richtigen Zeiteinteilung. 
Schenke mir das Fingerspitzengefühl, 
um herauszufinden, 
was erstrangig und zweitrangig ist. 

Ich bitte um Kraft für Zucht und Maß, 
dass ich nicht durch das Leben rutsche, 
sondern den Tagesablauf vernünftig einteile, 
auf Lichtblicke und Höhepunkte achte. 

Bewahre mich vor dem naiven Glauben, 
es müsste im Leben alles glatt gehen. 
Schenke mir die nüchterne Erkenntnis, 
dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Misserfolge, 
Rückschläge 
eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind, 
durch die wir wachsen und reifen.


Antoine de Saint-Exupéry

Sonntag, 24. Juli 2022

zwei Uhren

 






                                  Wenn man eine Uhr besitzt,
                                  weiß man, wie spät es ist.

                                  Hat man zwei Uhren,










 ist man nie ganz sicher.

Samstag, 23. Juli 2022

Das Christentum hat Zukunft - Teilhard de Chardin

 


        Das Christentum hat Zukunft,
        den es allein ist
        fähig,
        dieser harten Welt,
        in der wir leben,
        etwas von jener
        direkten und überall
        möglichen Freude
        zu vermitteln,
        die aus
        echten menschlichen Beziehungen
        wächst.


         Teilhard de Chardin




Freitag, 22. Juli 2022

Wo sollen wir Stille finden? (2) - Carlo Caretto

 




Das bedeutet „Wüste" in deinem geistlichen Leben.

Eine Stunde am Tag,

einen Tag im Monat, acht Tage im Jahr,

länger, wenn es nötig ist,

mußt du alles und alle verlassen,

um dich allein mit Gott zurückzuziehen.

Wenn du das nicht suchst,

wenn du das nicht liebst, mach dir keine Illusionen.

Anders wirst du nie zum kontemplativen Gebet kommen.

Denn nicht allein sein wollen -

obwohl man es könnte-,

um die innige Nähe Gottes zu kosten,

ist ein Zeichen, daß es an dem Grundelement

der Beziehung zum allmächtigen Gott fehlt: an der Liebe.

Ohne Liebe aber ist keine Offenbarung möglich. 

Carlo Carretto


Donnerstag, 21. Juli 2022

Wo sollen wir Stille finden? (1) - Carlo Caretto

 


Wo sollen wir Stille finden? (1)


Wo gibt es noch Orte der Stille? Die Wüste ist weit weg ...


Wenn das kontemplative Leben nur hinter Klostermauern

oder im Schweigen der Wüste möglich wäre,

dann müßten wir, um gerecht zu sein,

jeder Familienmutter ein kleines Kloster geben

und den Luxus einer kleinen Wüste dem Hilfsarbeiter,

der im Lärm einer Stadt leben muß,

um hart sein Brot zu verdienen.


So sieht die Wirklichkeit aus,

in der viele, die meisten Menschen leben.


Wenn du nicht in die Wüste gehen kannst,

mußt du dennoch in deinem Leben Wüste machen.

Bring ein Stück Wüste in dein Leben,


verlaß von Zeit zu Zeit die Menschen,

such die Einsamkeit,

um im Schweigen und anhaltenden Gebet deine Seele zu erneuern.

Das ist unentbehrlich.

Carlo Caretto 

Mittwoch, 20. Juli 2022

 




fleisch wie gras

mensch wie blume

güte wie gras

wort wie blüte

gras verdorrt

blume verwelkt

wort verstummt

güte vergeht

mensch verfällt

gottes wort bleibt
gottes wort blüht
von mund zu mund
von güte zu güte
von zeit zu zeit
von mensch zu mensch
von leben zu leben

ewig


kurt wolff

Dienstag, 19. Juli 2022

Es ist ein Netz - Wolfgang Poeplau

 



        Es ist ein Netz
        ausgelegt nach deinem Herzen. 
        

        Ein Netz,
        das dich hält,
        wenn du den Boden unter den Füßen verlierst.


        Ein Netz,
        das dich auffängt,
        wenn du abstürzst aus deiner Sicherheit.


        Ein Netz,
        das dich auffischt,
        wenn du ertrinkst im Meer der Zweifel.


        Laß dich
        fallen, fangen, festmachen.


        Es ist nicht Kette,
        sondern Halt.



        Wolfgang Poeplau




Montag, 18. Juli 2022

Der Himmel ist in dir - Angelus Silesius

 




                       Halt an! Wo läufst du hin!
                 Der Himmel ist in dir.
                 Suchst du Gott anderswo, 
                 du fehlst ihn für und für.



                  ANGELUS SILESIUS

Sonntag, 17. Juli 2022

Was siehst du - Anthony de Mello

 


Was siehst du?

Der Meister hob hervor, dass die Welt, wie sie die meisten Leute sehen,
nicht die Welt der Wirklichkeit ist,
sondern eine Welt, die ihr Kopf hervorgebracht hat.
Als ein Schüler das in Frage stellen wollte,
nahm der Meister zwei Stöcke und legte sie in Form eines T auf den Boden.
Dann fragte er den Schüler: „Was siehst du hier?"
„Den Buchstaben T", antwortete er.
„Genauso habe ich es mir vorgestellt", sagte der Meister.
„Es gibt von sich aus keinen Buchstaben T;
das T ist die Bedeutung, die du ihm gibst.
 Was du vor dir siehst, sind zwei abgebrochene Äste in Form von Stöcken."


Anthony de Mello




Samstag, 16. Juli 2022

Point of no return - Dag Hammarskjöld

 



Einen Punkt gibt es,

               wo alles einfach wird,

               wo keine Wahl bleibt,

               weil alles,

               worauf man gesetzt hat, 

               verloren ist,

               wenn man sich um sieht


               Des Lebens eigener


POINT OF NO RETURN



               Dag Hammarskjöld




Freitag, 15. Juli 2022

Eine neue Stadt - Oskar Saier

 





Eine neue Stadt

 Christen sind Menschen,
die eine große Hoffnung im Herzen tragen.
Nicht weil sie der Meinung sind,
daß ihnen ihre Unternehmungen
besser als anderen gelingen müßten.
Auch nicht, weil sie damit rechnen,
von Schicksalsschlägen verschont zu bleiben.

Ihre Hoffnung hat einen Namen
und ein menschliches Gesicht:
Jesus Christus,
der Gekreuzigte und Auferstandene,
bürgt ihnen dafür,
daß sich alle oft so
scheinbar sinn- und hoffnungslos verworrenen Fäden dieses Lebens einmal entwirren werden
- wenn er wiederkommt,
um einen neuen Himmel und eine neue Erde
zu schaffen.

"Eine neue Stadt ersteht."
In Bildern spricht die Offenbarung
des Johannes von der Zukunft,
der wir entgegengehen.
Gott wir ihr Licht sein.
Und deshalb ist es gut um sie
und um uns bestellt.


Oskar Saier




Donnerstag, 14. Juli 2022

Reich sein - Jeremias Gotthelf

 


 Reich sein

                              an Freude

                              hängt

                              nicht von Reichtum,

                              nicht von Armut ab,

 

 

 

sondern

 

 

 

                              von einem genügsamen

                              und zufriedenen Herzen.


                              Jeremias Gotthelf


Mittwoch, 13. Juli 2022

Ja - Dag Hammarskjöld

 


                Ja zu Gott:
                ja zum Schicksal und
                ja zu dir selbst.

               Wenn das Wirklichkeit wird,
               dann mag die Seele verwundet werden,
               aber sie hat die Kraft zu genesen.

                           DAG HAMMARSKJÖLD 



Dienstag, 12. Juli 2022

Nicht müde werden - Hilde Domin

 



                    NICHT MÜDE WERDEN


               Nicht müde werden

               sondern

               dem Wunder leise

               wie einem Vogel

               die Hand hinhalten.


                    HILDE DOMIN




Montag, 11. Juli 2022

Colombin, was willst du werden? - Peter Bichsel

 




Am Hofe gab es starke Leute und gescheite Leute, der König war ein König,
die Frauen waren schön und die Männer mutig,
der Pfarrer war fromm und die Küchenmagd fleißig -
nur Colombin war nichts.

Wenn jemand sagte: »Komm, Colombin, kämpf mit mir«,
sagte Colombin: »Ich bin schwächer als du.«
Wenn jemand sagte: »Wieviel gibt zwei mal sieben?,
sagte Colombin: »Ich bin dümmer als du.«
Wenn jemand sagte: »Getraust du dich, über den Bach zu springen?«,
 sagte Colombin: »Nein, ich getraue mich nicht.«

Und wenn der König fragte: »Colombin, was willst du werden?«,
 antwortete Colombin: »Ich will nichts werden, ich bin schon etwas, ich bin Colombin.«

 

PETER BICHSEL 





Sonntag, 10. Juli 2022

Leben in wachsenden Ringen - Rainer Maria Rilke

 




               Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
               die sich über die Dinge ziehn.
               Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
               aber versuchen will ich ihn.

              Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
              und ich kreise jahrtausendelang;
              und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, eın Sturm
              oder ein großer Gesang.

                   RAINER MARIA RILKE



Samstag, 9. Juli 2022

Schale des Nichtwissens - Peter Horton

 



                 Nur die Kreativität
                 des kindlich offenen Gemüts
                 dringt in die Schale des Nichtwissens,
                 die das Herz der Wahrheit
                 dem flegelhaften Blick
                 eines sich selbst
                 vergötzenden Intellekts
                 verhüllt.


                       Peter Horton




Freitag, 8. Juli 2022

Bald naht die Nacht - Dag Hammarskjöld

 

















                              Bald naht die Nacht - -
                              Jeder Tag der erste -. Jeder Tag ein Leben.

                              Jeden Morgen soll die Schale unseres Lebens hingehalten werden,
                              um aufzunehmen, zu tragen und zurückzugeben.
                              Leer hinreichen - denn was vorher war,
                              soll sich nur spiegeln in ihrer Klarheit,
                              ihrer Form und ihrer Weite.



                      DAG HAMMARSKJÖLD


Donnerstag, 7. Juli 2022

der gelassene Gott - Martin Gutl

 



                 Flackernde Herzen
                 auf den Friedhöfen
                 der Erde -
                 und darüber
                 die ruhigen Sterne.

                 Zuckendes Feuer
                 in den Augen des Menschen
                 und tief innen in ihm
                 der gelassene Gott.

 

             MARTIN GUTL 




Mittwoch, 6. Juli 2022

„Lieber irgend etwas tun als nichts" - Friedrich Nietzsche

 



Man schämt sich jetzt schon der Ruhe;
das lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse.
Man denkt mit der Uhr in der Hand,
wie man zu Mittag ißt,
das Auge auf das Börsenblatt gerichtet -
man lebt wie einer,
der fortwährend etwas „versäumen könnte".

„Lieber irgend etwas tun als nichts" -
auch dieser Grundsatz ist eine Schnur,
um aller Bildung und allem höheren Geschmack
den Garaus zu machen.

Und so wie sichtlich alle Formen
an dieser Hast der Arbeitenden zugrunde gehen,
so geht auch das Gefühl für die Form selber,
das Ohr und Auge
für die Melodie der Bewegungen zugrunde.

Der Beweis dafür liegt in der jetzt überall geforderten
plumpen Deutlichkeit in allen den Lagen,
wo der Mensch einmal redlich mit Menschen sein will,
im Verkehr mit Freunden, Frauen, Verwandten, Kindern,
Lehrern, Schülern, Führern -

man hat keine Zeit und keine Kraft mehr für die Zeremonien,
für die Verbindlichkeit mit Umwegen,
für allen Esprit der Unterhaltung
und überhaupt für alles Beschauliche.

Friedrich Nietzsche

Dienstag, 5. Juli 2022

Der Radwechsel - Berthold Brecht

 



                                          DER RADWECHSEL

                              Ich sitze am Straßenrand

                              Der Fahrer wechselt das Rad.
                              Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
                              Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
                              Warum sehe ich den Radwechsel
                              Mit Ungeduld?


                       BERTHOLT BRECHT 




Montag, 4. Juli 2022

Sonntag, 3. Juli 2022

Wenn die Morgenfrische - Dag Hammarskjöld

 




Wenn die Morgenfrische

der Mittagsmüdigkeit weicht,

wenn die Beinmuskeln

vor Anspannung beben,

wenn der Weg unendlich scheint

und plötzlich nichts mehr gehen will,

wie du wünschest ...


gerade dann darfst du nicht zaudern.


Dag Hammarskjöld




Samstag, 2. Juli 2022

Himmel als Teilhabe zu Gott - Ladislaus Boros

 



Himmel als Teilhabe zu Gott

Das Ziel, die letzte Vollendung,
ist die Teilhabe an Gott.
Gottes unendliche Fülle kann aber
durch kein Geschöpf
ganz aufgenommen, ausgeschöpft werden.
Unser endliches Wesen kann nie
mit Gottes Sein ganzheitlich zusammenfallen.
Somit ist jede Erfüllung
zugleich der Beginn
einer noch größeren Erfüllung.
Himmel ist wesenhaft
als grenzenlose Dynamik zu verstehn.
Die Erfüllung selbst wird uns, unser Wesen, derart erweitern,
daß wir im nächsten Moment vom Unendlichen noch mehr erfüllt werden können.
Wir sind also ewige Gottsucher.
Der Kirchenvater Augustinus sagt trefffend: Wir suchen Gott,
um ihn zu finden,
während unseres irdischen Lebens.
Wir suchen Gott,
nachdem wir ihn fanden,
in der ewigen Seligkeit, im Himmel.
Damit wir ihn suchen,
um in zu finden,
ist er verborgen.
Damit wir ihn suchen,
nachdem wir ihn fanden,
ist er unermeßlich.
Unsere Ewigkeit wird ein
immerwährendes Hineinschreiten in Gott sein.


Ladislaus Boros

Freitag, 1. Juli 2022

nichts Schönres unter der Sonne - Ingeborg Bachmann

 



Schöner als der beachtliche Mond und sein geadeltes Licht,
Schöner als die Sterne, die berühmten Orden der Nacht,
Viel schöner als der feurige Auftritt eines Kometen
Und zu weit Schönerem berufen als jedes andre Gestirn,
Weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr hängt, ist die Sonne.
Schöne Sonne, die aufgeht, ihr Werk nicht vergessen hat
Und beendet, am schönsten im Sommer, wenn ein Tag
An den Küsten verdampft und ohne Kraft gespiegelt die Segel
Über dein Aug ziehn, bis du müde wirst und das letzte verkürzt.

Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein ...
Nichts Schönres als den Stab im Wasser zu sehen und den Vogel oben,
Der seinen Flug überlegt, und unten die Fische im Schwärm,
Gefärbt, geformt, in die Welt gekommen mit einer Sendung von Licht.

Schöne Sonne, der vom Staub noch die größte Bewundrung gebührt,
Drum werde ich nicht wegen dem Mond und den Sternen und nicht,
Weil die Nacht mit Kometen prahlt und in mir einen Narren sucht,
Sondern deinetwegen und bald endlos und wie um nichts sonst
Klage führen über den unabwendbaren Verlust meiner Augen.
Ingeborg Bachmann