Sonntag, 31. Juli 2016


UNZUFRIEDEN


Der Meister erzählte von dem Hotelbesitzer, der sich bitter über die Folgen beklagte, die der Bau einer neuen Schnellstraße für sein Geschäft mit sich gebracht hatte.
„Hör mal zu", sagte ihm ein Freund. „Ich kann dich einfach nicht verstehen. Jeden Abend sehe ich das Schild ,Besetzt' vor deinem Hotel."
„Danach kannst du nicht gehen. 
Bevor die Schnellstraße gebaut wurde, mußte ich jeden Tag dreißig bis vierzig Leute fortschicken. 
Jetzt schicke ich nie mehr als fünf-und zwanzig weg."
Fügte der Meister hinzu: „Wenn du entschlossen bist, negativ zu empfinden, sind sogar nichtexistierende Kunden wirkliche Kunden."

Antony de Mello

Samstag, 30. Juli 2016


Durstig

Der Hauptgrund, warum viele Leute unglücklich sind, ist darin zu suchen, 
dass sie eine verkehrte Befriedigung aus ihren Leiden gewinnen", sagte der Meister.
Dann erzählte er, wie er einmal auf einer Bahnfahrt im oberen Bett eines Liegewagens die Nacht verbrachte. 
Es war ihm unmöglich einzuschlafen, da von unten her ständig ein Stöhnen zu hören war:

„Ach, bin ich durstig ... ach, bin ich durstig ...!"
Das Stöhnen wollte kein Ende nehmen. 

Da kletterte der Meister schließlich die Leiter hinunter, ging durch den ganzen Zug zum Speisewagen, 
kaufte zwei Becher Bier, ging den langen Weg zu seinem Abteil zurück 
und reichte die beiden Becher dem geplagten Mitreisenden.

„Hier ist etwas zu trinken!"


„Wunderbar, Gott sei Dank!"


Der Meister stieg die Leiter hoch und streckte sich wieder aus. 







Kaum hatte er die Augen geschlossen, hörte er es von unten her stöhnen: 


„Ach Gott, war ich durstig ... 


oh, war ich durstig!"

Antony de Mello

Freitag, 29. Juli 2016



 Wenn Gott lacht

Der indische Mystiker Ramakrishna pflegte zu sagen: Gott lacht bei zwei Gelegenheiten. 

Er lacht, wenn er einen Arzt zu einer Mutter sagen hört: „Haben Sie keine Angst. Ich werde den Jungen gesund machen." 
Gott sagt sich dann: „Ich habe vor, dem Jungen das Leben zu nehmen, und dieser Mann denkt, er könne es retten!" 

Er lacht auch, wenn er sieht, wie zwei Brüder ihr Land unter sich aufteilen,
indem sie eine Grenzlinie ziehen und sagen: „Diese Seite gehört mir und die andere dir." 
Er sagt sich dann: „Das Universum gehört mir, und diese beiden behaupten, Teile davon gehörten ihnen!"


 Als ein Mann erfuhr,
sein Haus sei von der Flut weggerissen worden, lachte er und sagte:
„ Unmöglich! Ich habe den Hausschlüssel hier in meiner Tasche."

Antony de Mello

Donnerstag, 28. Juli 2016



Änderung

Einem Schüler, der sich ständig über andere beklagte, 
sagte der Meister: 
„Wenn du wirklich Frieden haben willst, 
versuche, dich selbst zu ändern, nicht die anderen. 
Es ist einfacher, 
deine Füße mit Hausschuhen zu schützen, 
als die ganze Erde mit Teppichen auszulegen."

Antony de Mello 

Mittwoch, 27. Juli 2016



Nur Glaube, der spirituelle Wachheit einschließt,
bewahrt vor einem Archiv unbeantworteter Gebete.

Peter Horton

Dienstag, 26. Juli 2016


Man müßte so still halten können,                                   so vorsichtig hinhören und so aufmerksam betrachten,                                   daß sich die ganze Welt auftut                                   und man alles an ihr von innen versteht,                                   über alle Worte hinaus.

                                  Ulrich Schaffer

Montag, 25. Juli 2016


      Genügsamkeit


"Wie kann ich ein großer Mensch werden - wie Ihr?"

„Warum ein großer Mensch sein?" sagte der Meister.




„Mensch sein ist schon Leistung genug."


 Antony de Mello

Sonntag, 24. Juli 2016




Lass also deinen Willen.
Du kannst ohnedies nicht verantworten, 
was du tust und was durch dich geschieht.

Lass dich führen

Lass einmal deine Pläne.
Dein Leben findet seinen Sinn nicht mit dem, 
was du von deinen Plänen erreichst. 
Vertraue dich dem verborgenen Plan an, den Gott mit dir hat.
Er kennt dich.

Lass auch einmal deine Sorgen um andere Menschen. 
Du besserst wenig mit deinen Sorgen. 
Tu, was nötig ist. Aber vertraue der Sorge, die in Gottes Willen am Werk ist.

Lass deine Angst vor deinem eigenen Versagen.
Du brauchst weder ein vollkommener 
noch ein wichtiger noch ein allseits geachteter Mensch zu sein.
Wichtiger ist, dass du weißt: Ein gesegneter Mensch wirst du sein nach seinem Willen

Lass alle ungelösten Fragen.

Lass alle Mühe, die du mit dir selbst hast, 
dann und wann ganz und gar stehen oder liegen zu lassen. 

Lass alle verkrampften Erwartungen an dich oder an die Menschen. 
Du wirst auf deine Fragen in dieser Welt keine Antwort finden 
außer dem Vertrauen, dass es einen Augenblick geben wird, 
in dem dir die Wahrheit aufgeht.

Renne nicht gegen verschlossene Türen.
Bleib stehen mit Gelassenheit und Geduld. 
Eines Tages werden sie sich öffnen und du wirst Gott begegnen.

Lass dich selbst.
Du lebst in der Hand Gottes. Und das gilt.

Jörg Zink

Samstag, 23. Juli 2016



Ausdehnung

Der Meister hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu, als der berühmte Wirtschaftswissenschaftler seinen Entwurf einer künftigen Entwicklung erläuterte.
 
„Sollte Wachstum der einzige Gesichtspunkt in einer Wirtschaftstheorie sein?" fragte er.

„Ja. Jedes Wachstum ist gut in sich."












„Denken nicht Krebszellen genau so?" sagte der Meister.

Freitag, 22. Juli 2016




Der Ball des Gehorsams (4)

‚Wir haben auf der Flöte gespielt und ihr habt nicht getanzt’


Herr, lehre uns den Platz,
Den in dem endlosen Roman,
Der zwischen dir und uns begonnen hat,

und uns einnimmt, dieser seltsame Ball des Gehorsams.


Offenbare uns das grosse Orchester Deiner Heilspläne,
Worin das, was du zulässt,
einfach befremdliche Töne von sich gibt
Inmitten der Heiterkeit dessen, was dein Wille ist.



Gib, dass wir unser Dasein leben
Nicht wie ein Schachspiel, bei dem alles berechnet ist,
Nicht wie einen Match, bei dem alles schwierig ist,
Nicht wie ein Zahlenproblem,
bei dem man sich den Kopf zerbricht,
sondern wie ein endloses Fest,
bei dem man dir immer wieder begegnet.
Wie einen Ball, wie einen Tanz
In den Armen deiner Gnade,
zu der Musik allumfassender Liebe.


Herr, komm und lade uns ein.
  


Madeleine Debrél

Donnerstag, 21. Juli 2016




Der Ball des Gehorsams (3)

‚Wir haben auf der Flöte gespielt und ihr habt nicht getanzt’


Wir aber, wir vergessen so oft die Musik deines Geistes,
Wir haben aus unserem Leben eine Turnübung gemacht;
Wir vergessen, dass es in deinen Armen getanzt sein will;
Dass Dein Heiliger Wille von unerschöpflicher Phantasie ist.
Und dass es monoton und langweilig
Nur für grämliche Seelen zugeht,
Die als Mauerblümchensitzen am Rand
Des fröhlichen Balls deiner Liebe.

Herr, komm und lade uns ein.
Wir sind bereit, dir diese Besorgung vorzutanzen,
Dieses Haushaltungsbuch, dieses Essen,
das bereitet werden muss, diese Nachtwache,
Bei der wir schläfrig sein werden.
Wir sind bereit, dir diesen Tanz der Arbeit zu tanzen,
Den der Hitze und dann wieder den der Kälte.
Wenn gewisse Melodien in Moll stehen,
werden wir nicht behaupten, Sie seinen traurig;
Wenn andere uns etwas ausser Atem bringen,
sagen wir nicht,
Sie stiessen uns die Lunge aus dem Leib.
Und wenn die Leute uns anrempeln,
Nehmen wir es lachend hin,
Weil wir wissen, dass sowas beim Tanz immer vorkommt.



Madeleine Debrél

Mittwoch, 20. Juli 2016



Der Ball des Gehorsams (2)

‚Wir haben auf der Flöte gespielt und ihr habt nicht getanzt’

Denn ich glaube, du hast von den Leuten genug,
die ständig davon reden, dir zu dienen
mit der Miene von Feldwebeln,
Dich zu kennen mit dem Gehabe von Professoren,
Zu dir zu gelangen nach den Regeln des Sports
Und dich zu lieben,
wie man sich nach langen Ehejahren liebt.

Eines Tages,
als du ein wenig Lust auf etwas Anderes hattest,
hast du den heiligen Franz erfunden
und aus ihm Deinen Gaukler gemacht.
An uns ist’s, uns von dir erfinden zu lassen,
um fröhliche Leute zu sein,
die ihr Leben mit dir tanzen.

Um gut tanzen zu können, mit dir oder auch sonst
Braucht man nicht zu wissen, wohin der Tanz führt.
Man muss ihm nur folgen,
darauf gestimmt sein, schwerelos sein,
Und vor allem: Man darf sich nicht versteifen.

Man soll dir keine Erklärungen abverlangen
Über die Schritte, die du zu tun beliebst,
Sondern ganz mit dir eins sein – und lebendig pulsierend
Einschwingen auf den Takt des Orchesters
den du auf uns überträgst.
Man darf nicht um jeden Preis vorwärtskommen wollen,
manchmal muss man sich drehen oder seitwärts gehen.
Und man muss auch innehalten können
oder gleiten, anstatt zu marschieren.
Und all das wären ganz sinnlose Schritte,
Wenn die Musik nicht eine Harmonie daraus machte.
  

Madeleine Debrél

Dienstag, 19. Juli 2016





Der Ball des Gehorsams (1)

‚Wir haben auf der Flöte gespielt und ihr habt nicht getanzt’

Heute ist 14. Juli.
Jedermann geht zum Tanz.
Allerorten, seit Monaten, Jahren, tanzt die Welt.
Je mehr man drin stirbt, umso mehr tanzt man.
Wogen des Krieges, wogender Ballsaal.

Das Ganze macht wirklich viel Lärm.
Die ernsthaften Leute haben sich schlafen gelegt.
Die Mönche singen die Matutin
Vom heiligen König Heinrich.
Ich aber denke an den anderen König,
den König David, der vor der Bundeslade tanzte.

Denn wenn es auch viele heiligmässige Leute gibt,
die nicht gern getanzt haben,
So gibt es doch auch Heilige,
denen der Tanz ein Bedürfnis war,
So glücklich waren sie zu leben:
Die heilige Teresa mit ihren Kastagnetten,
Johannes vom Kreuz mit dem Jesuskind auf dem Arm,
Und Franziskus vor dem Papst.
Wenn wir wirklich Freude an dir hätten, o Herr,
Könnten wir dem Bedürfnis, zu tanzen, nicht widerstehen
Das sich über die Welt hin ausbreitet.
Und wir könnten sogar erraten,
Welchen Tanz du getanzt haben willst,
indem wir uns den Schritten deiner Vorsehung überliessen.


Madeleine Debrél (1914 - 1964)

Montag, 18. Juli 2016






Selbst Du gehörst dir nicht

Und Buddha sagte: 
„Dieses Land ist mein, diese Söhne sind mein"  
- so spricht ein Narr, der nicht begreift, 
dass er selbst sich nicht gehört.

Man besitzt nie etwas wirklich. 

Nur eine Zeitlang bewahrt man es auf.  
Ist man nicht fähig, es wegzugeben, 
wird man selbst festgehalten. 

Was immer man sammelt, 
muss sein wie Wasser in der hohlen Hand. 

Greift man zu, 
läuft es weg. 

Willst du es besitzen, 
beschmutzt du es.  

Lässt du es los, 
ist es für immer dein.

Sonntag, 17. Juli 2016



  Nimm mich bitte,

                wie ich bin,
                heißt:                laß mich in Ruhe,
                ich will mich nicht ändern!


                Nimm die Menschen, wie sie sind,
                heißt:
                gib jedem die Chance
                auf seine Entwicklungsstufe.

                Peter Horton

Samstag, 16. Juli 2016



Sokrates auf dem Marktplatz

Als echter Philosoph, der er war, glaubte Sokrates, ein weiser Mensch würde instinktiv ein einfaches Leben führen. Er selbst pflegte noch nicht einmal Schuhe zu tragen. Und doch fühlte er sich immer wieder vom Marktplatz angezogen und besuchte ihn oft, um die dort angebotenen Waren zu betrachten. 

Als einer seiner Freunde ihn fragte, warum er das täte, sagte Sokrates: 

„Ich gehe gerne hin, um festzustellen, 
wie viele Dinge es gibt, 
ohne die ich phantastisch auskomme."



Spiritualität bedeutet nicht,

zu wissen, was man braucht,

sondern einzusehen, was man nicht braucht.


Anthony de Mello

Freitag, 15. Juli 2016



O Gott,
wenn du unsere Schöpfung heimbringst,
dann öffne das große Tor
für die geschwätzige Rasse der Menschen.

Dann wird die Zeit vollendet sein,
und unsere Fragen
werden ihren Sinn verlieren,
wir werden von ihnen geheilt sein
wie von einer Krankheit.
Denn der Fortschritt des Menschen
besteht in der Entdeckung,
dass seinen Fragen kein Sinn innewohnt.

Ich habe die Weisen dieser Erde befragt.
Sie haben auf die Fragen des vergangenen
fahr es keine Antwort gefunden.
Die aber zu dir heimkehrten,
lächeln heute über sich selbst,
denn als sie die Wahrheit erkannten,
waren alle ihre Fragen
wie ausgelöscht.

Wenn er dich aufnimmt, Mensch,
so heilt er dich.
Er nimmt deine Fragen
mit seiner Hand von dir wie ein Fieber.

 Gott,
wenn du deine Schöpfung eines Tages
heimbringst, so öffne das doppelte Tor
und lass uns eintreten in dein Haus,
wo wir nicht mehr nach Antworten suchen,
weil wir glücklich sind.
Denn die Seligkeit ist das Ende der Fragen.
Und unser Friede wird sein,
dich zu verehren.

Antoine de Saint-Exupéry

Donnerstag, 14. Juli 2016

 

Die Überraschung

Es ist wunderbar, nein sagen zu können; es gehört zum Wachwerden. 
Es gehört mit zum Wachwer­den, sein Leben so zu leben, wie man es für richtig hält.
Verstehen Sie mich recht: das hat nichts mit Ego­ismus zu tun; 

Egoistisch wäre es, 
zu verlangen, daßjemand sein Leben so lebt, wie Sie es für richtig hal­ten.  
Das ist egoistisch. 

Es ist nicht egoistisch, sein Leben so zu leben, wie man es selbst für richtig hält. 

Der Egoismus liegt in der Forderung, daß andere Leute so leben sollen, wie es Ihrem Geschmack, Ihrem Stolz, Ihrem Nutzen oder Ihrem Vergnügen entspricht. 
Das ist wirklich egoistisch. 
Deshalb schütze ich mich. 
Ich fühle mich nicht dazu ver­pflichtet, mit dir zusammen zu sein, ebensowenig fühle ich mich dazu verpflichtet, ja zu sagen. 
Wenn ich deine Gesellschaft mag, genieße ich sie, ohne mich daran zu klammern. 
Aber ich meide dich nicht länger wegen irgendwelcher negativen Gefühle, die du in mir weckst. 

Diese Macht hast du nicht mehr.

Antony de Mello

Mittwoch, 13. Juli 2016



Wach auf!

Die meisten Leute schlafen, ohne es zu wissen.
Sie wurden schlafend geboren,
sie leben schla­fend,
sie heiraten im Schlaf,
erziehen im Schlaf ihre Kinder und
sterben im Schlaf, ohne jemals wach geworden zu sein.

Niemals verstehen sie den Reiz und die Schönheit dessen,
was wir "menschliches Le­ben" nennen.
Bekanntlich sind sich alle Mystiker, ob christlich oder nichtchristlich und egal, welcher theologischen Richtung oder Religion sie angehören –

in diesem einen Punkt einig: daß alles gut, alles in Ordnung ist.
Obwohl gar nichts in Ordnung ist, ist alles gut.

Ein wirklich seltsamer Widerspruch.

Aber tragischerweise kommen die meisten Leute gar nicht dazu, zu erkennen,
daß tatsächlich alles gut ist, denn sie schlafen.
Sie haben einen Alptraum.


Vor einiger Zeit hörte ich im Radio die Geschich­te von einem Mann, der an die Zimmertür seines Sohnes klopft und ruft: "Jim, wach auf!"

Jim ruft zurück: "Ich mag nicht aufstehen, Papa."
Darauf der Vater noch lauter: "Steh auf, du mußt in die Schule!"
"Ich will nicht zur Schule gehen."
"Warum denn nicht?" fragt der Vater.

"Aus drei Gründen", sagt Jim.
"Erstens ist es so langweilig,
zweitens ärgern mich die Kinder,
und drittens kann ich die Schule nicht ausstehen."

Der Vater erwidert: "So, dann sag' ich dir drei Gründe, wieso du in die Schule mußt:
Erstens ist es deine Pflicht,
zweitens bist du 45 Jahre alt,
und drit­tens bist du der Klassenlehrer."

Also aufwachen, aufwachen!
Du bist erwachsen geworden, du bist zu groß, um zu schlafen.
Wach auf! Hör auf, mit dei­nem Spielzeug zu spielen.

Antony de Mello



Dienstag, 12. Juli 2016

Montag, 11. Juli 2016



Hungertod

Das Leben ist ein Festessen.
Das Tragische dabei ist, daß die meisten Menschen den Hungertod sterben.

Ich kenne eine Geschichte von ein paar Leuten,
die auf einem Floß vor der brasilianischen Küste trieben
und am Verdursten waren.

Sie ahnten nicht,
daß das Wasser um sie herum Süßwasser war.
Der Fluß strömte so kraftvoll ins Meer, daß sein Wasser einige Meilen weit vor die Küste gelangte.
Deshalb gab es genau dort, wo das Floß trieb, auch Süßwasser.
Aber sie wußten es nicht.

Ebenso sind wir von Freude, Glück und Liebe um­geben.
Die meisten Menschen ahnen es nur nicht,
weil sie nichts mehr klar erkennen können,
weil sie hypnotisiert sind,
weil sie schlafen.

Stellen Sie sich einen Zauberer auf der Bühne vor, der jemanden so hypnotisiert,
daß er nur sieht, was nicht da ist,
und das, was da ist, nicht sieht.

Genauso ist es.

Kehren Sie um, und nehmen Sie die gute Nachricht an.
Keh­ren Sie um, und werden Sie wach!

Antony de Mello

Sonntag, 10. Juli 2016



Gott sorgt schon dafür,
daß der Mensch, der sich in Glaube, Hoffnung und Liebe fahren läßt,
um Gott die Ehre des Mittelpunkts zu geben, sich selbst nicht entfremdet werde.

Ist der Mensch nicht aus Gott
und zu Gott hin?
Ist er nicht dann in seinem eigenen Zentrum,
wenn er seinen Mittelpunkt mit dem Mittelpunkt Gott zusammenfallen läßt?

Nur wer der törichten Ansicht ist,
daß Gott ein "Anderer", ein "Zweiter",
ein "Fremder" sei, kann meinen,
der Mensch, der sich Gott überantwortet, könne sich selber entfremdet sein...

Der Mensch ist von vornherein
über diese Erde hinaus gebaut.
In Glaube, Hoffnung, Liebe nimmt er
das Maß seiner Bestimmung:
Der Nord Gott bannt seinen Kompaß,
und bei Gott, der ihn anzieht,
nicht bei ihm, liegt die Kraft,
die ihn in Bewegung hält.


Hans Urs von Balthasar

Samstag, 9. Juli 2016




Anmut und Behagen (2)


Ich sah auch schlechte Künstler,
verkrampft über zu schwierigen Stücken.
Ihr Spiel offenbarte ihre ganze Mühsal.
Vor lauter Hinsehn hörte man die Musik kaum.

Ein großer Schmerz für uns ist es,
daß wir deine schöne Musik so freudlos spielen,
Herr, der du uns Tag um Tag bewegst.

Daß wir immer noch bei den Tonleitern sind,
bei der Zeit der anmutslosen Bemühungen.
Daß wir zwischen den Menschen hindurchgehn
wie schwerbeladene, ernste, überanstrengte Leute.
Daß wir es nicht fertigbringen, über unserm Winkel der Welt,
während der Arbeit, der Hast, der Ermüdung
etwas auszubreiten wie

Anmut und Behagen der Ewigkeit.

Madeleine Delbrêl

Donnerstag, 7. Juli 2016




Anmut und Behagen (1)

Unser großer Schmerz ist, daß wir dich ohne Freude lieben,
o du, von dem wir «glauben», du seist unser Jubel;
daß wir ohne Behagen und Anmut
an deinen Willen gekrampft sind,
der unsere Tage bewegt.
Ein großer Schmerz, Herr, ist es für uns,
einen Künstler zu hören,
wie er die Menschenmusik ohne Ermüdung spielt,
indem er sich von ihr tragen läßt,
und durch die Akrobatik der Harmonien hindurch
einer Welle von Liebe begegnet, die doch nur Menschenmaß hat.
Von ihm vielleicht sollten wir es lernen,
deine Liebe zu spielen,
wir, für die diese Liebe zu groß, zu schwer ist.

Ich sah einen, der eine Zigeunerweise spielte
auf einer Geige aus Holz, 
mit Händen aus Fleisch.

In dieser Geige trafen sich sein Herz und die Musik.
Die Zuhörer hätten niemals erraten können,
daß die Melodie schwierig war,
Und wie lang er Tonleitern üben mußte,
seine Finger verrenken,
um die Noten und Klänge sich in die Fibern
seines Gehirns einprägen zu lassen.

Sein Körper war fast ohne Bewegung,
nur seine Finger, seine Arme.
Wenn er sich lang bemüht hatte, die Wissenschaft
der Musik zu besitzen,
so war es jetzt die Musik,
die ihn besaß, ihn belebte,
ihn aus sich selber hinauswarf wie eine tönende Entzückung.

Unter jeder gespielten Notehätte man eine ganze Geschichte
von Fingerübungen, Anstrengungen, Kämpfen entdecken können;
aber jede Note enteilte,als sei ihre Aufgabe erledigt,
wenn sie durch ihren genauen, vollkommenen Klang den Weg
für eine andere vollkommene Note gebahnt. 

Jede dauerte solange es nötig war.
Keine ging zu schnell los.
Keine verzögerte sich.
Sie dienten einem unmerklichen und allmächtigen Hauch.



Madeleine Delbrêl