Sonntag, 20. Dezember 2015
Es gibt nur eine Einsamkeit, und die ist groß und ist nicht leicht zu tragen,
und es kommen fast allen die Stunden, da sie sie gerne vertauschen möchten
gegen irgendeine noch so banale und billige Gemeinsamkeit,
gegen den Schein einer geringen Übereinstimmung mit dem Nächstbesten...
Aber vielleicht sind das gerade die Stunden, wo die Einsamkeit wächst;
denn ihr Wachsen ist schmerzhaft wie das Wachsen des Knaben
und traurig wie der Anfang der Frühlinge.
Aber das darf Sie nicht irre machen.
Was not tut, ist doch nur dieses: Einsamkeit, große innere Einsamkeit.
In-sich-Gehen und stundenlang niemandem begegnen - das muß man erreichen können.
Einsam sein, wie man als Kind einsam war, als die Erwachsenen umhergingen,
mit Dingen verflochten, die wichtig und groß schienen,
weil die Großen so geschäftig aussahen und weil man von ihrem Tun nichts begriff.
Und wenn man eines Tages einsieht, daß ihre Beschäftigungen armselig,
ihre Berufe erstarrt und mit dem Leben nicht mehr verbunden sind,
warum dann nicht weiter wie ein Kind darauf hinsehen,
als auf ein Fremdes, aus der Tiefe der eigenen Welt heraus,
aus der Weite der eigenen Einsamkeit, die selber Arbeit ist und Rang und Beruf?
Warum eines Kindes weises Nicht-Verstehen vertauschen wollen
gegen Abwehr und Verachtung, da doch Nicht-Verstehen Alleinsein ist
Abwehr und Verachtung aber Teilnahme an dem,
wovon man sich mit diesen Mitteln scheiden will.
Rainer Maria Rilke
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