Hören und sehen
Es ist nicht einfach zuzuhören, vor allem
dann nicht, wenn man sich über eine Idee leicht erregt. Ja, auch wenn man nicht
leicht erregbar ist, ist es nicht einfach zuzuhören - hört man alles vom
eigenen vorprogrammierten, konditionierten, hypnotisierten Standpunkt aus. Man
interpretiert oft alles, was gesagt wird, nach dem einmal eingeprägten
Begriffsmuster.
Wie jene Frau, die nach einem Vortrag über
Ackerbau und Viehzucht fragt: „Entschuldigen Sie, mein Herr, ich stimme hierin
mit Ihnen völlig überein, daß der beste Dung alter Pferdemist ist. Würden Sie
uns aber bitte noch sagen, wie alt genau die Pferde sein müssen?"
Wir haben alle unsere Standpunkte, oder?
Von diesen Standpunkten aus hören wir den
anderen zu:
„Hast du dich aber verändert, Henry!
Du
warst doch immer so groß, und jetzt kommst du mir so klein vor.
Du warst doch
immer so stattlich, und jetzt erscheinst du mir so schmal.
Du warst doch immer
so blaß, und jetzt bist du so braun.
Was ist mit dir los, Henry?"
Und Henry sagt: „Ich heiße gar nicht Henry,
ich heiße John." –
„Ach, deinen Namen hast du auch
geändert!" –
Wie will man solch einen Menschen zum
Zuhören bekommen?
Anthony de Mello
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