Donnerstag, 22. November 2012

Anmut und Behagen (2)
Ich sah einen, der eine Zigeunerweise spielte
auf einer Geige aus Holz,

Mit Händen aus Fleisch.
In dieser Geige trafen sich sein Herz und die Musik.
Die Zuhörer hätten niemals erraten können,
daß die Melodie schwierig war,
Und wie lang er Tonleitern üben mußte,
seine Finger verrenken,
um die Noten und Klänge sich in die Fibern
seines Gehirns einprägen zu lassen.

Sein Körper war fast ohne Bewegung,
nur seine Finger, seine Arme.
Wenn er sich lang bemüht hatte, die Wissenschaft
der Musik zu besitzen, so war es jetzt die Musik,
die ihn besaß, ihn belebte,
ihn aus sich selber hinauswarf wie eine tönende Entzückung.

Unter jeder gespielten Note hätte man eine ganze Geschichte
von Fingerübungen, Anstrengungen, Kämpfen entdecken können;
aber jede Note enteilte, als sei ihre Aufgabe erledigt,
wenn sie durch ihren genauen, vollkommenen Klang den Weg
für eine andere vollkommene Note gebahnt.

Jede dauerte solange es nötig war.
Keine ging zu schnell los.
Keine verzögerte sich.
Sie dienten einem unmerklichen und allmächtigen Hauch.


Madeleine Delbrêl

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