Heute kamen drei Kinder aus dem Dorf, zwei Mädchen und ein
Junge, und wollten mit Thanh Thuy spielen. Alle vier rannten zum Hügel hinter
dem Haus, um dort zu spielen. Nach vier Stunden erst kamen sie zurück und
wollten etwas trinken.
Ich nahm die letzte Flasche von unserem selbstgemachten
Apfelsaft und schenkte allen ein Glas ein, zuletzt Thuy.
Sie hatte nun den Rest
vom Boden der Flasche bekommen; er enthielt etwas Fruchtfleisch und wer
eingetrübt. Sie schmollte und wollte den Saft nicht trinken.
So lief sie mit
den anderen Kindern zurück zum Hügel, ohne etwas getrunken zu haben.
Eine halbe Stunde später, als ich gerade in meinem Zimmer
meditierte, hörte ich sie rufen. Sie wollte gern ein Glas Wasser trinken, aber
auch auf Zehenspitzen reichte sie noch nicht an den Wasserhahn heran. Ich
erinnerte sie an ihr Glas Saft auf dem Tisch und bat sie, dieses doch zuerst zu
trinken.
Sie drehte sich zum Glas um und stellte fest, daß das Fruchtfleisch
sich gesetzt hatte und der Saft ganz klar und appetitlich aussah.
So ging sie
zum Tisch und nahm das Glas in beide Hände. Sie trank es zur Hälfte aus, setzte
es ab und sagte:
„Ist das ein anderes Glas, Onkel Mönch?“ (eine übliche Anrede
vietnamesischer Kinder, wenn sie mit einem älteren Mönch reden).
„Nein“,
erwiderte ich, „es ist dasselbe Glas. Es hat hier nur eine Weile gestanden, und
nun ist der Satt ganz klar und köstlich.“
Thuy betrachtete erneut das Glas. „Er
ist wirklich gut. Hat er meditiert so wie du, Onkel Mönch?“
Ich mußte lachen
und streichelte ihr über den Kopf. „Sagen wir einmal so: Ich ahme den Apfelsaft
nach, wenn ich still sitze - das kommt der Wahrheit am nächsten.“
Thich
Nhat Hanh, vietnamesischer Zen-Meister und Schriftsteller
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