Dienstag, 30. September 2014



                 Man müßte so still halten können,
                 so vorsichtig hinhören und so aufmerksam betrachten,
                 daß sich die ganze Welt auftut
                 und man alles an ihr von innen versteht,
                 über alle Worte hinaus.


                       Ulrich Schaffer

Montag, 29. September 2014

Sonntag, 28. September 2014




Glaube in der Praxis
Schon eine kleine Tat entgegen der natürlichen Neigung um Gottes Willen vollbracht;
eine Beleidigung zu ertragen,
einer Gefahr ins Auge zu sehen
auf einen Vorteil zu verzichten,
das hat in sich die Kraft,
die als Gegengewicht
gegen den ganzen Haufen Staub und Spreu eines Wortbekenntnisses dient.
So kann ein Mensch,
der es mit der praktischen Anwendung des Glaubens ernst nimmt,
eine unermeßliche moralische Kraft und Bedeutung gewinnen.
Die Bibel ist über die Welt verbreitet –
aber das inspirierte Wort ist nur ein toter Buchstaben,
wenn es nicht von Geist zu Geist lebendig vermittelt wird.
Die Anziehung, die von unbewußter Heiligkeit ausgeht,
ist von bezwingender, unwiderstehlicher Art.
Sie überzeugt den Schwachen, Furchtsamen, Schwankenden und Suchenden,
sie entlockt Zuneigung und Ergebenheit.
Ein paar begnadete Menschen werden die Welt für die kommenden Jahrhunderte retten.


John Henry Newman


Samstag, 27. September 2014




Ich kenne eine Geschichte von ein paar Leuten, die auf einem Floß vor der brasilianischen Küste trieben und am Verdursten waren. 
Sie ahnten nicht, dass das Wasser um sie herum Süßwasser war. Der Fluss strömte so kraftvoll ins Meer, dass sein Wasser einige Meilen weit vor die Küste gelangte. Deshalb gab es genau dort, wo das Floß trieb, auch Süßwasser. 
Aber sie wussten es nicht. 

Ebenso sind auch wir von Freude, Glück und Liebe umgeben. Die meisten Menschen ahnen es nur nicht, weil sie nichts mehr klar erkennen können, weil sie hypnotisiert sind, weil sie schlafen.


Anthony de Mello

Freitag, 26. September 2014




Hoffnung ist nichts anderes

als der Glaube an Gottes unendliche Liebe.

Als Hoffende blichen wir Gott ins Herz.

Sich selbst hat Er ja uns geschenkt.

Nicht hoffen bedeutet,

Gottes Güte ins Unrecht setzen.
 

Charles de Foucauld

Donnerstag, 25. September 2014





Eine Frau träumte, sie beträte einen ganz neuen Laden am Markt,
und zu ihrem Erstaunen stand Gott hinter dem Ladentisch.

„Was verkaufst du hier?" fragte sie.

„Alles, was dein Herz begehrt“, sagte Gott.

Die Frau wagte kaum zu glauben, was sie hörte,
beschloss aber das Beste zu verlangen, was ein Mensch sich nur wünschen konnte.
„Ich möchte Frieden für meine Seele und Liebe und Glück,
und weise möchte ich sein und nie mehr Angst haben", sagte sie.

Nach kurzem Nachdenken fügte sie hinzu: „Nicht nur für mich allein,
sondern für alle Menschen auf der Erde."

Gott lächelte: „Ich glaube, du hast mich falsch verstanden,
meine Liebe", sagte er,
„wir verkaufen hier keine Früchte, nur die Samen."


unbekannter Autor

Mittwoch, 24. September 2014





„Ich habe keine Ahnung, was der morgige Tag bringen wird, 
also möchte ich mich darauf vorbereiten."

„Du fürchtest den morgigen Tag 
und erkennst nicht, 
dass der gestrige genauso gefährlich ist."

Anthony de Mello

Dienstag, 23. September 2014



Echte Würde wird nicht durch Missachtung gemindert.
Die Majestät der Niagara-Fälle wird nicht geringer, wenn man hineinspuckt.

Montag, 22. September 2014



Ein Wanderer: „Wie wird das Wetter heute?" 
Der Schäfer: „So, wie ich es gerne habe." 
„Woher wisst Ihr, dass das Wetter so sein wird, wie Ihr es liebt?"

„Ich habe die Erfahrung gemacht, mein Freund, dass ich nicht immer das bekommen kann, was ich gerne möchte. Also habe ich gelernt, immer das zu mögen, was ich bekomme. 

Deshalb bin ich ganz sicher: das Wetter wird heute so sein, wie ich es mag."

Was immer geschieht, an uns liegt es, Glück oder Unglück darin zu sehen.
Anthony de Mello

Sonntag, 21. September 2014




Die erste falsche Vorstellung, mit der die meisten Menschen durchs Leben gehen, besteht darin, 
Freude mit Begeisterung, Nervenkitzel, Vergnügen und Unterhaltung gleichzusetzen. 
In diesem Glauben suchen sie also Betäubung und Rausch; sie mögen ihr Hochgefühl und ihren Nervenkitzel haben, sind dabei aber schon auf dem Weg zur nächsten Phase des Enttäuschtseins und der Niedergeschlagenheit.

Das einzige, woran wir uns berauschen können, ist das Leben. 


Es ist ein sanftes Rauschmittel, doch mit langanhaltender Wirkung.

Anthony de Mello

Samstag, 20. September 2014





„Der Hauptgrund, warum viele Leute unglücklich sind, ist darin zu suchen, dass sie eine verkehrte Befriedigung aus ihren Leiden gewinnen", sagte der Meister.
Dann erzählte er, wie er einmal auf einer Bahnfahrt im oberen Bett eines Liegewagens die Nacht verbrachte. Es war ihm unmöglich einzuschlafen, da von unten her ständig ein Stöhnen zu hören war: „Ach, bin ich durstig ... ach, bin ich durstig...!"

Das Stöhnen wollte kein Ende nehmen. Da kletterte der Meister schließlich die Leiter hinunter, ging durch den ganzen Zug zum Speisewagen, kaufte zwei Becher Bier, ging den langen Weg zu seinem Abteil zurück und reichte die beiden Becher dem geplagten Mitreisenden. „Hier ist etwas zu trinken!" „Wunderbar, Gott sei Dank!"

Der Meister stieg die Leiter hoch und streckte sich wieder aus. Kaum hatte er die Augen geschlossen, hörte er es von unten her stöhnen: „Ach Gott, war ich durstig ... oh, war ich durstig!"


Anthony de Mello

Freitag, 19. September 2014



Vater im Himmel,
auf vielerlei Weise redest du zu einem Menschen.
Du, dem Weisheit und Verstand allein gehören,
du willst dich ihm dennoch verständlich machen.
Ach, und wenn du auch schweigst,
so redest du ja doch mit ihm,
denn auch der redet, der schweigt,
um den Lernenden abzuhören;
auch der redet, der schweigt,
um den Geliebten zu prüfen;
auch der redet, der schweigt,
auf daß die Stunde des Einverständnisses
um so innerlicher sei, wenn sie kommt.
Vater im Himmel, ist es nicht also?
O die Zeit des Schweigens,
wenn ein Mensch einsam und verlassen
deine Stimme nicht hört,
da ist es ihm, als sollte die Trennung für immer sein.
O Zeit des Schweigens,
wenn ein Mensch dürstet in der Wüste,
da er deine Stimme nicht hört,
da ist es ihm, als wäre sie ganz entschwunden.
Vater im Himmel, es ist ja doch nur der Augenblick
des Schweigens in der Innerlichkeit des Gesprächs,
so laß es gesegnet sein, auch dieses Schweigen,
wie jedes deiner Worte zu einem Menschen;
laß ihn nie vergessen,
daß du auch noch redest, wenn du schweigst;
schenke ihm diesen Trost, wenn er auf dich baut
daß du aus Liebe schweigst,
wie du aus Liebe redest,
so daß nun, ob du schweigst oder redest,
du noch derselbe Vater bist.

Sören Kierkegaard

Donnerstag, 18. September 2014





Wenn einer sich vornähme, das Wort Tod nicht mehr zu benützen,
 auch kein anderes, das mit dem Tod zusammenhängt, 
mit dem Menschentod
oder mit dem Sterben der Natur. 

Ein ganzes Buch würde er schreiben,
ein Buch ohne Tod, ohne Angst vor dem Sterben, ohne Vermissen der Toten,
die natürlich auch nicht vorkommen dürften, 

ebensowenig wie Friedhöfe,
sterbende Häuser, tödliche Waffen, Autounfälle, Mord. 


Er hätte es nicht leicht,
dieser Schreibende, 

jeden Augenblick müßte er sich zur Ordnung rufen,
etwas, das sich eingeschlichen hat, wieder austilgen, 

schon der Sonnenuntergang wäre gefährlich, 
schon ein Abschied, 
und das braune Blatt, das herabweht,
erschrocken streicht er das braune Blatt. 

Nur wachsende Tage, 
nur Kinder
und junge Leute, 

nur rasche Schritte, 
Hoffnung und Zukunft, 
ein schönes Buch,
ein paradiesisches Buch.
Marie Luise Kaschnitz

Mittwoch, 17. September 2014



fleisch wie gras

mensch wie blume

güte wie gras

wort wie blüte

gras verdorrt

blume verwelkt

wort verstummt

güte vergeht

mensch verfällt

gottes wort bleibt
gottes wort blüht
von mund zu mund
von güte zu güte
von zeit zu zeit
von mensch zu mensch
von leben zu leben

ewig
kurt wolff

Dienstag, 16. September 2014




Eine Taube fliegt über den Garten 
und läßt eine Flaumfeder fallen.

Sie schwebt bei völliger Windstille 
in unvollständigen Kreisen sanft hernieder.

Ritzte ihr Weg Spuren in die Luft, 
so ergäbe es eine Silberspirale.

Wie langsam, wie still 
diese Herabkunft vor sich geht.

Unendliche Beruhigung.

Die sanfteste Ablösung, 
die stillste Heimkehr, 
der flaumleichte Tod.
Luise Rinser

Montag, 15. September 2014



Wenn ein neuer Schüler zum Meister kam, 
wurde er gewöhnlich folgendem Verhör unterworfen:
„Weißt du, wer der einzige Mensch ist, der dich im ganzen Leben nie verlassen wird?"
„Wer ist es?"
„Du."

„Und kennst du die Antwort auf jede Frage, die dir je einfallen könnte?" „Wie lautet sie?"
„Du."

„Und kannst du die Lösung aller deiner Probleme ahnen?"
„Ich gebe auf."
„Du."

Anthony de Mello

Sonntag, 14. September 2014



Begriffe eignen sich ausgezeichnet dazu, uns im Leben zu führen. Doch sie sind nicht das Leben. Dem Leben begegnet man im Erleben. 
Es ist, als würde man eine wunderbare Speisekarte lesen. Sie ist nicht das Essen. 
Und wenn du die ganze Zeit auf das Lesen der Speisekarte verwendest, wirst du nie satt. 
Es kann manchmal noch schlimmer kommen: manche essen tatsächlich die Speisekarte. 
Sie leben von Begriffen und verlieren dabei das Leben. Wie lässt sich solch ein Verhalten überwinden? 
Der große weise Krishnamurti sagt uns: „An dem Tag, an dem du deinem Kind den Namen des Vogels lehrst, hört es auf, den Vogel zu sehen." 
Das Kind sieht dieses flauschige, lebendige Etwas, so geheimnisvoll und vielversprechend. 
Und wir bringen ihm bei: das ist ein Spatz. 
Jetzt hat das Kind einen Begriff: Spatz. 
Und immer, wenn es dann einen Spatz sieht, wird es sagen: „Ach ja, das kenne ich schon: das ist ein Spatz."

Anthony de Mello

Samstag, 13. September 2014



Andrew Carnegie, einer der reichsten Männer der Welt, wurde einmal gefragt: „Sie hätten doch wohl zu jeder Zeit aufhören können zu arbeiten, wenn Sie gewollt hätten, denn Sie besaßen immer mehr, als Sie brauchten?"
Er erwiderte: „Ja, das stimmt. Aber ich konnte nicht aufhören. Ich hatte vergessen, wie man das macht."

Viele fürchten, wenn sie erst einmal innehielten, um staunend einem Gedanken nachzuhängen, nicht mehr in Gang zu kommen.

Anthony de Melo

Freitag, 12. September 2014



Die Worte sind ein Strom, gegen den wir schwimmen müssen.
Wer sich von ihm fortreißen läßt, zerschellt.

Denn wer die Worte lange Zeit mißbraucht hat,

kann sie nicht mehr die Wahrheit sagen lassen.

Julien Green

Donnerstag, 11. September 2014



Die Seele ist der Stille nicht mehr fähig,
in der allein
ihre Liebes- und Glaubenskraft sich sammelt,
ihre höchste Hoffnung gedeiht.
Wenn Gott schwiege
und der Mensch
noch immer nicht zu schweigen vermöchte,
ja der Mensch sich immer lauter gebärdete,
eben weil er fühlt —
nicht weiß und nicht wissen will
daß Gott schweigt:
was dann?


Es würde sich mit den Völkern verhalten
wie mit den Bewohnern einer großen Stadt,
deren übergrelles Licht die Tiefe
des nächtlichen Himmels verdeckt,
so daß kein Blick hinaufdringt;
eingesponnen im mißfarbigen Lichtgewebe,
gefangen im selbsterzeugten Lärm,
liegt die Stadt in der ungeheuren Nacht,
deren Gestirne über sie herrschen.



Reinhold Schneider

Mittwoch, 10. September 2014




Hurra, wir leben noch (2)

Hurra!!! Wir leben noch!
Was mussten wir nicht alles überstehn?
Und leben noch!
Was ließen wir nicht über uns ergehen?
An Einerlei der Kelch ging noch einmal an uns vorbei
Wir leben noch

HURRA!!! Wir leben noch!
Nach jeder Ebbe kommt doch eine Flut
Wir leben noch
Gibt uns denn dies Gefühl nicht neuen Mut und Zuversicht
So selbstverständlich ist das nicht
Wir leben noch

Hurra!!! Wir leben noch nach all dem Dunkel
Sehen wir wieder Licht
Wir leben noch
Der Satz bekam ein anderes Gewicht
So schlimm es ist
Es wird als dass man nie vergisst
Wir leben noch

Songtext von Milva

Dienstag, 9. September 2014



Der Meister behauptete, dass der Hauptgrund für das Unglück in der Welt auf die geheime Befriedigung der Menschen zurückzufuhren ist, die darin liegt, sich schlecht zu fühlen. 

Er erzählte von einem Freund, der zu seiner Frau sagte: „Warum lässt du nicht alles stehen und liegen und machst dir einen schönen Tag, meine Liebe?"

„Ach, du weißt doch genau, mein Lieber, dass ich mich niemals dabei wohl fühlen würde, mir einfach einen schönen Tag zu machen", gab sie gereizt zur Antwort.

Anthony de Mello

Montag, 8. September 2014



Wenn man glücklich sein möchte, kann man es augenblicklich sein.

Das Glück liegt in diesem Augenblick. 

Wenn man jedoch noch glücklicher sein will oder glücklicher als die anderen, zeigt man alle Eigenschaften eines unglücklichen Menschen, denn Glück ist unvergleichlich. 
Solche Wünsche sind unerfüllbar. 
Man kann nur so glücklich sein wie man selbst ist; das Glück der anderen lässt sich nicht messen.
 
Anthony de Mello

Sonntag, 7. September 2014



Also, die Dinge sind tot. (3)

Aber zur Zeit dieser Meldung werden nicht mehr viele verstehen,
was gemeint ist.

Nur sehr alte Leute werden sich erinnern,
in ihren jungen Tagen davon gehört oder gelesen zu haben:
irgendwann einmal, vorZeiten, lustige Vorstellung,
sollten die Dinge, 

der Mond und der Bach und die Tanne,
die Stadt und die Bucht und das Kornfeld 

gelebt haben.

Erhart Kästner

Samstag, 6. September 2014



Einklang

Als ein Mann, dessen Ehe nicht gut ging, seinen Rat suchte, sagte der Meister: „Du musst lernen, deiner Frau zuzuhören."

Der Mann nahm sich diesen Rat zu Herzen und kam nach einem Monat zurück und sagte, er habe gelernt, auf jedes Wort, das seine Frau sprach, zu hören.

Sagte der Meister mit einem Lächeln: „Nun geh nach Hause und höre auf jedes Wort, das sie nicht sagt."

 Anthony de Mello

Freitag, 5. September 2014


Ich sehe den Bäumen die Stürme an,
die aus laugewordenen Tagen an meine ängstlichen Fenster schlagen,
und höre die Fernen Dinge sagen, die ich nicht ohne Freund ertragen,
nicht ohne Schwester lieben kann.
Da geht der Sturm, ein Umgestalten geht durch den Wald und durch die Zeit,
und alles ist wie ohne Alter:
die Landschaft, wie ein Vers im Psalter, ist Ernst und Wucht und Ewigkeit.
Wie ist das klein, womit wir ringen, was mit uns ringt, wie ist das groß;
ließen wir, ähnlicher den Dingen, uns so vom großen Sturm bezwingen -
wir würden weit und namenlos.
Was wir besiegen, ist das Kleine, und der Erfolg selbst macht uns klein.
Das Ewige und Ungemeine will nicht von uns gebogen sein.
Das ist der Engel, der den Ringern des Alten Testaments erschien:
wenn seiner Widersacher Sehnen im Kampfe sich metallen dehnen,
fühlt er sie unter seinen Fingern wie Saiten tiefer Melodien.
Wen dieser Engel überwand,
welcher so oft auf Kampf verzichtet, der geht gerecht und aufgerichtet
und groß aus jener harten Hand, die sich wie formend an ihn schmiegte.
Die Siege laden ihn nicht ein. Sein Wachstum ist:
der Tiefbesiegte von immer Größerem zu sein.
Rainer Maria Rilke