Donnerstag, 18. September 2014





Wenn einer sich vornähme, das Wort Tod nicht mehr zu benützen,
 auch kein anderes, das mit dem Tod zusammenhängt, 
mit dem Menschentod
oder mit dem Sterben der Natur. 

Ein ganzes Buch würde er schreiben,
ein Buch ohne Tod, ohne Angst vor dem Sterben, ohne Vermissen der Toten,
die natürlich auch nicht vorkommen dürften, 

ebensowenig wie Friedhöfe,
sterbende Häuser, tödliche Waffen, Autounfälle, Mord. 


Er hätte es nicht leicht,
dieser Schreibende, 

jeden Augenblick müßte er sich zur Ordnung rufen,
etwas, das sich eingeschlichen hat, wieder austilgen, 

schon der Sonnenuntergang wäre gefährlich, 
schon ein Abschied, 
und das braune Blatt, das herabweht,
erschrocken streicht er das braune Blatt. 

Nur wachsende Tage, 
nur Kinder
und junge Leute, 

nur rasche Schritte, 
Hoffnung und Zukunft, 
ein schönes Buch,
ein paradiesisches Buch.
Marie Luise Kaschnitz

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