Mittwoch, 28. Februar 2018




Das Besondere an einem weltlichen Leben ist im Unterschied zum Ordensleben - dass man versucht, Schweigen zu schaffen, aber die Menschen und Dinge nicht zum Schweigen bringen kann, die auch dann um uns herum sind, wenn sie nicht zu unserem Leben gehören.
Wenn wir so auf das Schweigen warten, bevor wir beten, laufen wir Gefahr, nur selten zu beten;
oder wenn wir beten, dann würden wir es nicht im Namen der Welt tun, der das Gebet am tiefsten fehlt: die Großstädte, wo sich Arbeit und Vergnügungen gemeinsam gegen die Stille verbündet haben.

Auch wenn das paradox erscheinen mag: Wenn wir dem. Schweigen den Platz einräumen, den es bei den kontemplativsten Orden hat, können wir es auch in unser Leben einfügen, denn es ist im Grunde das, was wir suchen; und wenn es unentbehrlich dafür ist, Gott zu finden, können wir sicher sein, dass Gott es uns schenkt: Es liegt an uns, wenn wir es nicht finden.

Einfach nur den Mund zu halten ist noch kein Schweigen.

Schweigen heißt, auf Gott zu lauschen;
heißt, alles auszuhalten, was uns daran hindert, zu lauschen, Gott zu hören.
Schweigen heißt, Gott überall zu hören,
wo er spricht, angefangen bei denen, durch die er in der Kirche spricht,
bis zu denen, mit denen sich Christus auf andere Weise identifiziert hat
und die von uns etwas brauchen: das Licht, unser Herz oder Brot.


Madeleine Delbrél

Dienstag, 27. Februar 2018

Nur für heute

Die Fähigkeit glücklich zu leben,
kommt aus einer Kraft,
die der Seele innewohnt.

Mark Aurel



Käfig ohne Gitter


Ein Bär ging in seinem sechs Meter langen Käfig hin und her.
Als die Gitterstäbe nach fünf Jahren entfernt wurden, ging der Bär weiterhin diese sechs Meter hin und her, als ob der Käfig noch da wäre. 

Für ihn war er da!

Anthony de Mello

Montag, 26. Februar 2018

Nur für heute

Wär ich nie ein Narr gewesen,
wo nähm ich jetzt die Weisheit her?

Rudolf Presber




Die Ekstase deiner Verfügungen (01a)



Wenn einer, der uns liebt, etwas von uns verlangt, danken wir ihm, dass er uns brauchen kann.
Wenn es dir gefiele, Herr, während unseres ganzen Lebens
ein einziges Ding von uns zu fordern, wir könnten's vor Entzücken nicht fassen, und dies eine Mal deinen Willen erfüllt zu haben, wäre das Ereignis unseres Schicksals.
Aber weil du täglich, stündlich, minütlich, uns eine solche Ehre antust, finden wir das so natürlich, dass wir blasiert sind, und genug davon haben.

Und doch,
verstünden wir, wie ganz unausdenklich dein
Geheimnis ist, wir wären verblüfft,
wenn wir diese Funken deines Willens erblickten:
unsere winzigen Aufgaben.
Wir wären geblendet, wenn wir in dieser riesigen
Finsternis, die uns einhüllt, erführen
die ungezählten,
die ganz exakten,
persönlichen
Lichter deiner Verfügungen.


Madeleine Delbrél

Sonntag, 25. Februar 2018

Nur für heute

Siehe eine Sanduhr:
Da läßt sich nichts durch Rütteln und Schütteln erreichen.
Du mußt geduldig warten,
Körnlein um Körnlein.

Christian Morgenstern


Der springende Punkt (2)

Das erinnert mich an einen Mann im London nach dem Zweiten Weltkrieg. Er saß auf seinem Platz in der U-Bahn und hatte ein in braunes Packpapier eingewickeltes Paket auf dem Schoß; ein großes, schweres Ding. 
Der Schaffner kam zu ihm und fragte: „Was haben Sie da auf dem Schoß?" 
Worauf der Mann sagte: „Das ist eine Bombe, sie ist noch scharf. Wir haben sie im Garten ausgegraben. Ich bringe sie jetzt
zur Polizei!" 
Der Schaffner verfügte: „Die wollen Sie doch wohl nicht auf dem Schoß tragen! Tun Sie das Ding gefälligst unter den Sitz."

Es ist wie beim Autofahren, der Fahrer möchte nie das Bewusstsein für das Auto verlieren. 
Nichts gegen Tagträume, doch darf man dabei nie das Bewusstsein für seine Umgebung verlieren. 
Immer heißt es, wachsam zu sein. 
Es ist wie bei einer Mutter, die schläft; sie hört nicht das Dröhnen der Flugzeuge, die über ihr Haus fliegen,
doch vernimmt sie sofort den leisesten Seufzer ihres Kindes. 

Sie ist wachsam,
sie ist in diesem Sinne wach. 

Über den wachen Zustand lässt sich gar nichts sagen,
nur über den schlafenden Zustand.

Anthony de Mello

Samstag, 24. Februar 2018

Nur für heute

Wirklich reich ist der,
der mehr Träume in seiner Seele hat,
als die Wirklichkeit
zerstören kann.

Hans Kruppa



Der springende Punkt (1)

Der springende Punkt ist, 
dass Sie weder 
okay 
noch nicht 
okay sind. 

Sie können
höchstens der momentanen Stimmung, 
dem Trend oder der Mode entsprechen. 

Heißt das nun, dass Sie okay geworden sind? 
Hängt Ihr Okay-Sein davon ab? 
Hängt es davon ab, wie man über Sie denkt? 

Jesus Christus muss demnach überhaupt nicht
okay 
gewesen sein. 

Sie sind nicht ,okay', 
und 
Sie sind nicht, nicht okay', 

Sie sind 
Sie 
selbst! 

Ich hoffe, dass dies eine wichtige Entdeckung für Sie wird, zumindest für einige von Ihnen. 

Vergessen Sie das 
ganze Gerede von 
okay 
und nicht 
okay. 

Vergessen Sie 
alle Urteile, 
und beobachten 
Sie einfach, 
schauen Sie zu. 

Sie werden wichtige Entdeckungen machen, 
die Sie verändern werden. 

Sie werden sich nicht
im geringsten
anstrengen müssen,
glauben Sie mir.

Anthony de Mello

Freitag, 23. Februar 2018






Es herrscht das ganze Leben lang
eine Art Kampf zwischen uns und den Dingen!


Entweder wir gehen in ihnen auf,
oder aber wir absorbieren und assimilieren sie.


Das Feld gehört dem Stärkeren,
das heißt dem Ungeteilteren,
das heißt schließlich dem inniger mit Gott vereinten.

 

Teilhard de Chardin

Donnerstag, 22. Februar 2018



Es gibt keinen 
größeren Beweis für Geistesgröße, 
als wenn man sich durch nichts, 
was einem begegnen kann, 
in Aufruhr bringen läßt.


Seneca

Mittwoch, 21. Februar 2018




Was siehst du?

Der Meister hob hervor, dass die Welt, wie sie die meisten Leute sehen, nicht die Welt der Wirklichkeit ist, sondern eine Welt, die ihr Kopf hervorgebracht hat.

Als ein Schüler das in Frage stellen wollte, nahm der Meister zwei Stöcke und legte sie in Form eines T auf den Boden. Dann fragte er den Schüler: „Was siehst du hier?"

„Den Buchstaben T", antwortete er.

„Genauso habe ich es mir vorgestellt", sagte der Meister. „Es gibt von sich aus keinen Buchstaben T; das T ist die Bedeutung, die du ihm gibst. Was du vor dir siehst, sind zwei abgebrochene Äste in Form von Stöcken."


Anthony de Mello

Dienstag, 20. Februar 2018



Nur für heute
werde ich mich an die Umstände anpassen,
ohne zu verlangen,
dass die Umstände sich
an meine Wünsche anpassen.



Johannes XXIII

Montag, 19. Februar 2018



Elia ging in die Wüste.
Er wanderte vierzig Tage
und vierzig Nächte
bis zum Berg Gottes, dem Horeb.
Er kam dort in eine Höhle
und blieb über Nacht.
Und siehe, das Wort des Herrn kam zu ihm:


Was machst du hier, Elia?
Geh heraus, der Herr wird vorübergehen.


Und ein großer, starker Wind,
der die Berge zerriß und die Felsen zerbrach,


kam vor dem Herrn her;
der Herr aber war nicht im Wind.
Nach dem Wind kam ein Erdbeben;
aber der Herr war nicht im Erdbeben.
Und nach dem Erdbeben kam ein Feuer;
aber der Herr war nicht im Feuer.


Und nach dem Feuer
kam ein stilles sanftes Sausen.


Als das Elia hörte,
verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel,
ging hinaus

Sonntag, 18. Februar 2018

Nur für heute

Die Ewigkeit
findet man im
Hier und Jetzt.

Meister Dõgen



Also, die Dinge sind tot. (3)

Aber zur Zeit dieser Meldung werden nicht mehr viele verstehen,
was gemeint ist.
Nur sehr alte Leute werden sich erinnern,
in ihren jungen Tagen davon gehört oder gelesen zu haben:
irgendwann einmal, vorZeiten, lustige Vorstellung,
sollten die Dinge,
der Mond und der Bach und die Tanne,
die Stadt und die Bucht und das Kornfeld
gelebt haben.


Erhart Kästner

Samstag, 17. Februar 2018

Nur für heute

Nichts in der Welt ist schwierig,
es sind nur die eigenen Gedanken,
welche den Dingen diesen Anschein geben.

Wu Cheng 'en

Nur für heute

Man muss sich mit dem Entdecken begnügen

und auf das Erklären

ver            zichten.

Georges Braque



Also, die Dinge sind tot. (2)

Zwar gibt es noch viele,
die den Tod der Dinge nicht wahrhaben wollen.

Sie ertragen die Nachricht nicht.
Sie gleichen den Müttern,
die ein Jahrzehnt die Nachricht verweigerten,
ihre Söhne seien auf den Schneefeldern zugeweht worden und sagten
Ich weiß es, er lebt noch.

Eines Tages aber werden es alle einsehen und sich gestehen müssen,

daß die Dinge tot sind.

Dann wird in den Zeitungen stehen:
Wie jetzt erst bekannt wird, sind die Dinge verstorben.

Wir werden darauf noch zurückkommen.  

Erhart Kästner

Freitag, 16. Februar 2018



Also, die Dinge sind tot. (1)

Nicht Gott ist tot, aber die Dinge;
es war ein Nachrichten-Versehen, ein Übermittlungs-Fehler,
eine Falschmeldung.

Die Dinge sind tot,
und wir (das war richtig) wir waren es,
die sie erforschten, erwürgten, umbrachten.

Von jeher hatten die Dinge von der Mühe gelebt,
die man sich um sie machte.

Schwer begreiflich; aber um Mühe gaben sie Leben.

Man wollte sie mühelos, man wollte sie hergestellt haben.
Das gelang auch.

Aber
um den
Preis ihres Lebens.



Erhart Kästner

Donnerstag, 15. Februar 2018




wer ohren hat
höre
wer augen hat
höre und sehe
wer hände hat
höre und sehe und tue
wer füße hat

höre und sehe und tue und gehe
wer einen mund hat

höre und sehe und tue und gehe und rede
und schweige
und schweige
und schweige
und rede


kurt wolff

Mittwoch, 14. Februar 2018



Hurra, wir leben noch (2)
Hurra!!! Wir leben noch!
Was mussten wir nicht alles überstehn?
Und leben noch!
Was ließen wir nicht über uns ergehen?
An Einerlei der Kelch ging noch einmal an uns vorbei
Wir leben noch
HURRA!!! Wir leben noch!
Nach jeder Ebbe kommt doch eine Flut
Wir leben noch
Gibt uns denn dies Gefühl nicht neuen Mut und Zuversicht
So selbstverständlich ist das nicht
Wir leben noch
Hurra!!! Wir leben noch nach all dem Dunkel
Sehen wir wieder Licht
Wir leben noch
Der Satz bekam ein anderes Gewicht
So schlimm es ist
Es wird als dass man nie vergisst
Wir leben noch

Songtext von Milva 

Dienstag, 13. Februar 2018

Nur für heute ...

Willst du glücklich sein,


                        dann sei es.


Leo N. Tolstoi



Hurra, wir leben noch (1)

Wie stark ist der Mensch? Wie stark?
Wie viel Ängste wie viel Druck kann er ertragen?
Ist er überhaupt so stark wie er oft glaubt?
Wer kann das sagen?

Hurra!!! Wir leben noch!
Was mussten wir nicht alles überstehn?
Und leben noch!
Was ließen wir nicht über uns ergehen?
Der blaue Fleck auf unsrer Seele geht schon wieder weg
Wir leben noch
HURRA!!! Wir leben noch!
Nach jeder Ebbe kommt doch eine Flut
Wir leben noch
Gibt uns denn dies Gefühl nicht neuen Mut und Zuversicht
So selbstverständlich ist das nicht
Wir leben noch

Wie stark ist der Mensch? Wie stark?
In der Not hilft weder Zorn noch Lamentieren
Wer aus lauter Wut verzagt und nichts mehr tut
Der wird verlieren

Songtext von Milva

Montag, 12. Februar 2018

Gebt den Leuten mehr Schlaf -
und sie werden wacher sein,
wenn sie wach sind.

Kurt Tucholsky




Die Mächtigen wollen eher das Gegenteil - wache, auf geweckte Menschen könnten ja anfangen über sie und ihre Un Taten nachzudenken ....



Man schämt sich jetzt schon der Ruhe;
das lange Nachsinnen macht beinahe Gewissensbisse.
Man denkt mit der Uhr in der Hand,
wie man zu Mittag ißt,
das Auge auf das Börsenblatt gerichtet -
man lebt wie einer,
der fortwährend etwas „versäumen könnte".

„Lieber irgend etwas tun als nichts" -
auch dieser Grundsatz ist eine Schnur,
um aller Bildung und allem höheren Geschmack
den Garaus zu machen.

Und so wie sichtlich alle Formen
an dieser Hast der Arbeitenden zugrunde gehen,
so geht auch das Gefühl für die Form selber,
das Ohr und Auge
für die Melodie der Bewegungen zugrunde.

Der Beweis dafür liegt in der jetzt überall geforderten
plumpen Deutlichkeit in allen den Lagen,
wo der Mensch einmal redlich mit Menschen sein will,
im Verkehr mit Freunden, Frauen, Verwandten, Kindern,
Lehrern, Schülern, Führern -

man hat keine Zeit und keine Kraft mehr für die Zeremonien,
für die Verbindlichkeit mit Umwegen,
für allen Esprit der Unterhaltung
und überhaupt für alles Beschauliche.

Friedrich Nietzsche

Sonntag, 11. Februar 2018





Stellen Sie sich einen Patienten vor, der zum Arzt geht
und ihm sagt, woran er leidet.
Der Arzt sagt: „Ja, Ihre Symptome kenne ich sehr gut. Wissen Sie, was ich jetzt tun werde? Ich verschreibe Ihnen eine Arznei für Ihren Nachbarn."
Der Patient erwidert: „Vielen Dank, Herr Doktor, das wird mir sehr helfen."

Ist das nicht absurd? Aber so handeln wir alle.

Derjenige, der schläft, denkt immer, es würde ihm bessergehen, wenn ein anderer sich ändert.
Sie leiden, weil Sie schlafen, aber Sie denken sich: „Wie schön könnte das Leben sein, wenn die anderen sich ändern würden; wie schön könnte das Leben sein, wenn mein Nachbar sich änderte, oder meine Frau, oder mein Chef."

Wir möchten immer, dass jemand anderes sich ändert,
damit es uns gutgeht.

Doch sind Sie noch nie auf den Gedanken gekommen, dass selbst dann,
wenn sich Ihre Frau oder Ihr Mann ändert, Ihnen nicht viel geholfen wäre.
Sie sind genauso verwundbar wie vorher, genauso ein Narr wie vorher, schlafen genauso wie vorher.

Sie sind derjenige, der sich ändern muss, der die Arznei zu schlucken hat.

Doch Sie bestehen darauf: „Ich fühle mich gut, weil die Welt in Ordnung ist."

Irrtum! 
Die Welt ist in Ordnung, weil ich mich gut fühle.
Das ist die Botschaft, die uns alle Mystiker verkünden.


Anthony de Mello

Samstag, 10. Februar 2018




Schöner als der beachtliche Mond und sein geadeltes Licht,
Schöner als die Sterne, die berühmten Orden der Nacht,
Viel schöner als der feurige Auftritt eines Kometen
Und zu weit Schönerem berufen als jedes andre Gestirn,
Weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr hängt, ist die Sonne.
Schöne Sonne, die aufgeht, ihr Werk nicht vergessen hat
Und beendet, am schönsten im Sommer, wenn ein Tag
An den Küsten verdampft und ohne Kraft gespiegelt die Segel
Über dein Aug ziehn, bis du müde wirst und das letzte verkürzt.

Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein ...
Nichts Schönres als den Stab im Wasser zu sehen und den Vogel oben,
Der seinen Flug überlegt, und unten die Fische im Schwärm,
Gefärbt, geformt, in die Welt gekommen mit einer Sendung von Licht.

Schöne Sonne, der vom Staub noch die größte Bewundrung gebührt,
Drum werde ich nicht wegen dem Mond und den Sternen und nicht,
Weil die Nacht mit Kometen prahlt und in mir einen Narren sucht,
Sondern deinetwegen und bald endlos und wie um nichts sonst
Klage führen über den unabwendbaren Verlust meiner Augen.
Ingeborg Bachmann  

Freitag, 9. Februar 2018



Ich sehe den Bäumen die Stürme an,
die aus laugewordenen Tagen an meine ängstlichen Fenster schlagen,
und höre die Fernen Dinge sagen, die ich nicht ohne Freund ertragen,
nicht ohne Schwester lieben kann.
Da geht der Sturm, ein Umgestalten geht durch den Wald und durch die Zeit,
und alles ist wie ohne Alter:
die Landschaft, wie ein Vers im Psalter, ist Ernst und Wucht und Ewigkeit.
Wie ist das klein, womit wir ringen, was mit uns ringt, wie ist das groß;
ließen wir, ähnlicher den Dingen, uns so vom großen Sturm bezwingen -
wir würden weit und namenlos.
Was wir besiegen, ist das Kleine, und der Erfolg selbst macht uns klein.
Das Ewige und Ungemeine will nicht von uns gebogen sein.
Das ist der Engel, der den Ringern des Alten Testaments erschien:
wenn seiner Widersacher Sehnen im Kampfe sich metallen dehnen,
fühlt er sie unter seinen Fingern wie Saiten tiefer Melodien.
Wen dieser Engel überwand,
welcher so oft auf Kampf verzichtet, der geht gerecht und aufgerichtet
und groß aus jener harten Hand, die sich wie formend an ihn schmiegte.
Die Siege laden ihn nicht ein. Sein Wachstum ist:
der Tiefbesiegte von immer Größerem zu sein.
Rainer Maria Rilke

Donnerstag, 8. Februar 2018



Wahrer Beruf 

für den Menschen ist nur, 



zu sich selbst zu kommen.





Hermann Hesse




Mittwoch, 7. Februar 2018





Die Überraschung

Es ist wunderbar, nein sagen zu können; es gehört zum Wachwerden. 
Es gehört mit zum Wachwerden, sein Leben so zu leben, wie man es für richtig hält.

Verstehen Sie mich recht: das hat nichts mit Egoismus zu tun. Egoistisch wäre es,
zu verlangen, dass jemand sein Leben so lebt, wie Sie es für richtig halten. 
Das ist egoistisch. 
Es ist nicht egoistisch, sein Leben so zu leben, wie man es selbst für richtig hält. 

Der Egoismus liegt in der Forderung, dass andere Leute so leben sollen, wie es Ihrem Geschmack, Ihrem Stolz, Ihrem Nutzen oder Ihrem Vergnügen entspricht. 
Das ist wirklich egoistisch.

Deshalb schütze ich mich. Ich fühle mich nicht dazu verpflichtet, mit dir zusammen zu sein, ebensowenig fühle ich mich dazu verpflichtet, ja zu sagen. Wenn ich deine Gesellschaft mag, genieße ich sie, ohne mich daran zu klammern. 
Aber ich meide dich nicht länger wegen irgendwelcher negativen Gefühle, die du in mir weckst.

Diese Macht hast du nicht mehr.

Das Erwachen sollte eine Überraschung sein. 

Wenn etwas, was Sie nicht erwarten,
eintritt, sind Sie überrascht. 

Als Frau Webster ihren Mann dabei ertappte, wie er das
Dienstmädchen küsste, sagte sie ihm, sie sei sehr überrascht. Aber Webster war ein bisschen pingelig, was den korrekten Gebrauch der Sprache betraf (verständlicherweise,
schrieb er doch gerade an seinem berühmten Wörterbuch), und so erklärte er
ihr: „Nein, meine Liebe, ich bin überrascht. Du bist verblüfft!"

Anthony de Mello

Dienstag, 6. Februar 2018




Die Aufhebung
der Wünsche
bedeutet




R






                                                                                  U






                                            H









                                                                                                                         E




Laotse

Montag, 5. Februar 2018




Hungertod

Das Leben ist ein Festessen. 
Das Tragische dabei ist, dass die meisten Menschen
den Hungertod sterben. 
Ich kenne eine Geschichte von ein paar Leuten, die auf einem Floß vor der brasilianischen Küste trieben und am Verdursten waren. Sie
ahnten nicht, dass das Wasser um sie herum Süßwasser war. Der Fluss strömte so kraftvoll ins Meer, dass sein Wasser einige Meilen weit vor die Küste gelangte.
Deshalb gab es genau dort, wo das Floß trieb, auch Süßwasser. Aber sie wussten es nicht.

Ebenso sind wir von Freude, Glück und Liebe umgeben. 
Die meisten Menschen ahnen es nur nicht, weil sie nichts mehr klar erkennen können, weil sie hypnotisiert sind, weil sie schlafen. 
Stellen Sie sich einen Zauberer auf der Bühne vor, der jemanden
so hypnotisiert, dass er nur sieht, was nicht da ist, und das, was da ist, nicht sieht. 

Genauso ist es. 

Kehren Sie um, und nehmen Sie die gute Nachricht an. 
Kehren Sie um, und werden Sie wach!

Anthony de Mello

Sonntag, 4. Februar 2018




Alle guten Anlagen 
bedürfen nach meiner Meinung der Übung, 
die Besonnenheit aber 
ganz besonders.



Xenophon

Samstag, 3. Februar 2018





Der Ball des Gehorsams (01c)

Der Gehorsam bedeutet für uns Leute von der Straße auch, dass wir uns den Trends unsrer Zeit anpassen, solange sie harmlos sind: Wir tragen das, was alle tragen, tun das, was üblich ist, sprechen die Sprache, die alle Sprechen.

Und wenn man zu mehreren wohnt, vergisst man, dass man einen eigenen Geschmack hat, und lässt die Sachen an dem Platz, den die anderen ihnen gegeben haben.


 Madeleine Delbrél

Freitag, 2. Februar 2018






Der Ball des Gehorsams (01b)

Und bilden wir uns nichts ein: Gott hält nichts von Abenteuern. Die Pulsschläge unseres Lebens sind unendlich, denn er hat sie alle gewollt.

Schon morgens beim Aufwachen erfassen sie uns. Das Telefon klingelt. Der Schlüssel sperrt im Schloss. Der Bus kommt nicht, er ist voll oder er wartet nicht auf uns. Unser Sitznachbar nimmt den ganzen Platz ein; oder die Scheibe scheppert ohrenbetäubend.

So ist das Räderwerk des Alltags: Wenn wir diesen Schritt tun, hat es jenen zur Folge. Wir verrichten eine Arbeit, die wir uns nicht ausgesucht hätten.

So ist die Zeit mit all ihren subtilen Variationen, die frei sind von jeder menschlichen Einflussnahme: dass es uns zu kalt ist oder zu heiß; dass wir Migräne haben oder Zahnschmerzen; dass wir gerade diese Leute treffen, gerade diese von unserem Gegenüber gewählten Gespräche führen müssen. Dass uns der etwas grobschlächtige Mann auf dem Gehweg anrempelt, dass die Leute so gern ihre Zeit vertun und uns dafür schnappen. 




Madeleine Delbrél



Donnerstag, 1. Februar 2018





Der Ball des Gehorsams (01a)

Wir andern, wir Leute von der Straße, wissen sehr wohl, dass, solange unser Wille lebendig ist, wir Christus nicht wirklich lieben können.

Wir wissen, dass nur der Gehorsam uns in diesem Tod ansiedelt.

Wir würden unsere Schwestern und Brüder im Kloster beneiden, wenn nicht auch wir jede Minute ein wenig mehr sterben könnten.
Die winzigen Umstände unseres Alltags sind unsere treuen »Oberen«. Sie verlassen uns keinen Augenblick, und auf jedes Ja, das wir ihnen schulden, folgt sogleich ein weiteres.

Wenn man sich ihnen widerstandslos überlässt, erfährt man sich auf wunderbare Weise von sich selbst befreit. Man treibt in der Vorsehung wie ein Korkzapfen auf dem Wasser.


Madeleine Delbrél