GEFANGENGEHALTEN
Eine weitere Barriere oder Fettschicht sind Ihre Abhängigkeiten und
Ängste. Diese Schicht ist am leichtesten zu erkennen. Breiten Sie eine dicke
Decke aus Abhängigkeit und Angst (und somit Abneigung) über alles und jeden,
und sofort werden Sie nichts mehr so sehen, wie es wirklich ist. Rufen Sie sich
einige Menschen ins Gedächtnis, die Sie nicht mögen, vor denen Sie sich
fürchten oder an denen Sie hängen, und Sie werden sehen, wie sehr dies
zutrifft.
Ist Ihnen jetzt klargeworden, dass Sie in
einem Gefängnis sitzen, das aus Überzeugungen und Traditionen Ihrer Gesellschaft
und Kultur, aus Vorstellungen, Vorurteilen, Abhängigkeiten und Ängsten aus
Ihrer Vergangenheit besteht? Mauer um Mauer umgibt Ihre Zelle, und es scheint
beinahe unmöglich, daraus auszubrechen, um mit dem Reichtum des Lebens, der
Liebe und der Freiheit, der hinter Ihren Gefängnismauern liegt, in Berührung zu
kommen. Und doch ist diese Aufgabe durchaus nicht unmöglich, sondern sogar
einfach und schön.
Von Meister Eckhart stammt das schöne Wort:
„Gott lässt sich nicht dadurch erreichen, dass man seiner Seele etwas
hinzufügt, sondern indem man etwas abzieht." Sie tun nichts, um frei zu
sein, sondern lassen etwas. Dann sind Sie frei.
Das erinnert mich an die Geschichte von einem
irischen Gefangenen, der einen Tunnel unter der Gefängnismauer ins Freie
gegraben hatte, durch den er entkommen konnte. Mitten auf einem Schulhof, auf
dem kleine Kinder spielten, kroch er aus dem Tunnel ans Tageslicht. Übermütig
sprang er umher und rief: „Ich bin frei, ich bin frei!"
Ein kleines Mädchen schaute ihn verächtlich
an und sagte: „Das ist doch gar nichts. Ich bin vier."
Anthony de Mello
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen