Dienstag, 31. Juli 2018




Einige meinen, sie könnten nicht in ihrem Innern beten und beten doch sehr gut; andere hingegen halten viel auf ihr Gebet, und es ist kaum mehr als nichts.

Johannes vom Kreuz


Jeder von uns
kommt einmal
an den Rand der Worte,
an die Grenze
zum Schweigen.
Hier sehnt er sich
nach einem einzigen Wort,
das ihn
aus dem Gefängnis
des täglichen Zerredens
befreit.
Bleiben wir wach
auf dieses Schweigen hin,
offen ür den Anruf,
dann tun wir,
was die Alten:
Beten des Herzens nannten.
Wir fühlen uns arm,
von schönen Worten verlassen.
Vielleicht
wissen wir gar nicht,
daß wir beten.
Wo das Schweigen beginnt,
sind wir
der Wahrheit nahe.
Erst aus dem Schweigen
kann langsam
ein Wort geborgen werden.

Waltraud Herbstrith

Montag, 30. Juli 2018



                              Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte. (2)  




                              Schicke mir im rechten Augenblick jemand,
                              der den Mut hat,
                              mir die Wahrheit in Liebe zu sagen.
                              Ich möchte Dich und die anderen immer
                              aussprechen lassen.
                              Die Wahrheit sagt man nicht sich selbst,
                              sie wird einem gesagt.
                              Ich weiß, dass sich viele Probleme dadurch
                              lösen, dass man nichts tut.
                              Gib, dass ich warten kann.
                              Du weißt, wie sehr wir der Freundschaft
                              bedürfen.
                              Gib, dass ich diesem schönsten, schwierigsten,
                              riskantesten und
                              zartesten Geschenk des Lebens gewachsen bin.
                              Verleihe mir die nötige Phantasie,
                              im rechten Augenblick ein Päckchen Güte,
                              mit oder ohne Worte, an der richtigen Stelle
                              abzugeben.
                              Bewahre mich vor der Angst, ich könnte
                              das Leben versäumen.
                              Gib mir nicht, was ich mir wünsche,
                              sondern was ich brauche.


                              Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte!


                              Antoine de Saint-Exupéry

Sonntag, 29. Juli 2018




                                  Lehre mich die Kunst der kleinen Schritte. (1)

 

                              Ich bitte nicht um Wunder und Visionen, Herr,
                              sondern um Kraft für den Alltag.
                              Mach mich findig und erfinderisch,
                              um im täglichen Vielerlei und Allerlei
                              rechtzeitig meine Erkenntnisse und Erfahrungen
                              zu notieren, von denen ich betroffen bin.

                              Mach mich griffsicher
                              in der richtigen Zeiteinteilung.
                              Schenke mir das Fingerspitzengefühl,
                              um herauszufinden,
                              was erstrangig und zweitrangig ist.

                              Ich bitte um Kraft für Zucht und Maß,
                              dass ich nicht durch das Leben rutsche,
                              sondern den Tagesablauf vernünftig einteile,
                              auf Lichtblicke und Höhepunkte achte.

                              Bewahre mich vor dem naiven Glauben,
                              es müsste im Leben alles glatt gehen.
                              Schenke mir die nüchterne Erkenntnis,
                              dass Schwierigkeiten, Niederlagen, Misserfolge,
                              Rückschläge
                              eine selbstverständliche Zugabe zum Leben sind,
                              durch die wir wachsen und reifen.


                              Antoine de Saint-Exupéry

Samstag, 28. Juli 2018






Innerhalb des Gebäudes

einer Wissenschaft

schwört man leicht,

                festen Boden unter den

                Füßen zu haben.

                Man vergißt, daß das ganze Gebäude

                auf ein paar unbeweisbaren

                Schwimmern, den Axiomen, ruht.

                Axiome sind die von der Intuition

                aufgespürten unsichtbaren Trittplatten

                unter der Wasseroberfläche

                des Wissens,

                die ein unbescheidener Intellekt

                zu dem Wahn mißbraucht,

                er könne über's Wasser gehen



                Peter Horton

Freitag, 27. Juli 2018



Wenn ich stehe, dann stehe ich

                                                   Ein in Meditation erfahrener Mann wurde einmal gefragt;
                                              warum er trotz seiner vielen
                                              Beschäftigungen immer so gesammelt sein könne.
                                              Dieser sagte:
                                              Wenn ich stehe, dann stehe ich,
                                              wenn ich gehe, dann gehe ich,
                                              wenn ich sitze, dann sitze ich,
                                              wenn ich esse, dann esse ich,
                                              wenn ich spreche, dann spreche ich ...
                                              Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort und sagten:
                                              Das tun wir auch, aber was machst
                                              du darüber hinaus ?
                                              Er sagte wiederum:
                                              Wenn ich stehe, dann stehe ich,
                                              wenn ich gehe, dann gehe ich,
                                              wenn ich sitze, dann sitze ich,
                                              wenn ich esse, dann esse ich,
                                              wenn ich spreche, dann spreche ich ... 
                                              Wieder sagten die Leute: 
                                              Das tun wir doch auch. 
                                              Er aber sagte zu ihnen:
                                              Nein,
                                              wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon,
                                              wenn ihr steht, dann lauft ihr schon,
                                              wenn ihr lauft, dann seid ihr schon
                                              am Ziel..."

Donnerstag, 26. Juli 2018





Hart und mühsam ist es, wenn ein Mensch sich selbst nicht begreift 
und niemand findet, der ihn versteht. Es kann geschehen, daß Gott
ihn auf den Weg dunkler Schau und Trockenheit führt, er aber glaubt sich verloren. 
Da er innerlich voll Dunkelheit und Schwierigkeiten, Widerwillen und Versuchungen ist, 
kommt jemand wie die Tröster des Hiob und sagt, dies sei Melancholie, Schwermut oder Anlage; 
vielleicht sei Bosheit daran schuld, daß Gott ihn verlassen habe. 
Daraus schließen andere, dieser Mensch müsse sehr böse gewesen sein, da ihm solches zustoße.

Johannes vom Kreuz


Einen neuen Weg
zu gehen,
ist schwer.
Wir lieben das Vertraute.
Der neue Weg
ist ungebahnt,
woher sollen wir
Kraft nehmen,
ihn zu beschreiten?
Gewohntes hat uns verlassen,
das Neue ist ungewiß.
Gott entgleitet uns.
Wir zweifeln:
Vielleicht gibt es ihn nicht.
Die Welt um uns
zweifelt mit,
denn keiner wird
vom Gehen des neuen Weges
verschont.
Halten wir deshalb einander
so leicht für böse?
Christen die Kommunisten,
Kommunisten die Kapitalisten,
die Reichen die Armen,
der Nachbar den Nachbarn?
Sollten wir nicht fragen,
wer sich
hinter dem Dunkel
verbirgt?


Waltraud Herbstrith

Mittwoch, 25. Juli 2018



Mein Leben ist ein Weg.
Aber nicht jeder Weg führt zum Ziel.
Ich brauch Wegweiser, damit ich mir Kraft erspare.
Denn sonst muß ich jeden Weg zu Ende gehen,
um zu erkennen, wohin er führt.
Der Wegweiser ist also energieschonend.
Und er schütz mich vor Irrwegen,
die nicht nur nicht ans Ziel führen,
sondern die gefährlich werden können.


Anselm Grün

Dienstag, 24. Juli 2018




Es gibt einen schönen Satz von Tranxu, einem großen chinesischen Weisen.
Er lautet: „Wenn der Bogenschütze schießt, ohne einen besonderen Preis gewinnen zu wollen,
kann er seine ganze Kunst entfalten,
schießt er, um eine Bronzemedaille zu erringen, fängt er an, unruhig zu werden;
schießt er um den ersten Preis, wird er blind, sieht zwei Ziele und verliert die Beherrschung.

Sein Können ist dasselbe, aber der Preis spaltet ihn.

Er ist ihm wichtig! Er denkt mehr ans Gewinnen als ans Schießen,
und der Zwang zu gewinnen schwächt ihn."

Gilt dieses Bild nicht für die meisten Menschen?

Wenn man nicht für Erfolg lebt,
verfügt man über all sein Können, besitzt man all seine Kräfte,
ist man entspannt, sorgt man sich nicht,
es macht einem nichts aus, ob man verliert oder gewinnt.


Anthony de Mello

Montag, 23. Juli 2018



Wenn du dich mit anderen vergleichst,
könntest Du bitter werden und Dir nichtig vorkommen;
denn es wird immer jemanden geben,
grösser oder geringer als Du.


Desiderata

Sonntag, 22. Juli 2018




Geboren zu werden,
ist ein andauernder Prozess...
jeder Vorgang des Geborenwerdens,
jeder Schritt zu etwas Neuem,
ist mit Ungewissheit und Angst verbunden
und erfordert Glauben.

Erich Fromm

Samstag, 21. Juli 2018




Ich stelle mir vor,
dass wir unsere Kinder eines Tages
nicht mehr als manipulierbare Kreaturen
ansehen werden,
sondern als Boten aus einer Welt,
die uns einmal sehr vertraut war,
die wir aber längst vergessen haben,
und die uns mehr über die wahren Geheimnisse

des Lebens lehren können,
als unsere Eltern jemals konnten.

ALICE MILLER

Freitag, 20. Juli 2018




Es gibt Menschen, die, anstatt sich Gott zu überlassen und mitzuwirken, 
ihn durch ihr unkluges Verhalten und ihren Widerstand eher Kindern. 
Sie sind wie kleine Kinder: Wollen ihre Mütter sie auf den Arm nehmen, 
strampeln und weinen sie, 
weil sie durchaus selbst geben wollen, 
obwohl sie es nicht können oder nur mit Kinderschritten.
(Johannes vom Kreuz)


Will Gott
zu uns durchbrechen,
sagen wir lieber
„Nein“ als ‚Ja“.
Alles, was wir wissen
über Reifung, Entwicklung, was wir planen
und anwenden,
zerrinnt.

Wir fallen in Kindheitsstufen zurück,
wollen entscheiden,
wo wir keine Entscheidungen treffen können,
weil wir,
Erbauer der Zukunft,
noch nicht
gelernt haben,
uns von einem Größeren,
Umfassenderen,
das wir
Gott nennen,
an andere Ufer
tragen zu lassen.

Waltraud Herbstrith

Samstag, 14. Juli 2018

Alles muß heute schneller gehen

Unruhe ist immer sinnlos.
Sie bringt keinerlei Nutzen.
Wenn auch alles zugrunde geht und einstürzt und alle Dinge der Reihe nach verkehrt und zuwider laufen, so ist es doch sinnlos, sich aufzuregen, da dies mehr schadet als hilft.

Alles mit ruhigem und friedlichem Gleichmut hinzunehmen fördert nicht nur den inneren Gewinn, sondern läßt den Menschen auch in Schwierigkeiten richtiger urteilen und entsprechend handeln.
(Johannes vom Kreuz - Karmelberg 234)

Alles muß heute
schneller gehen.
Die Hast
zerstört unsere Kraft,
die wir für Gutsein, Helfen, Miteinanderleben brauchen.
Wir sollten die Maße
der Technik bestimmen.
Ach, wir tun es ja:
unsere eigene Maßlosigkeit
reißt uns
ins Unheil hinein.
Herr, gib uns Mut
zur Stille,
zur Besinnung.
Lehre uns,
Menschen und Dingen behutsam zu begegnen.

Waltraud Herbstrith