Freitag, 8. Juni 2018
Einsamkeit ist nicht Abwesenheit von Menschen (02)
Die Einsamkeit, o Gott,
besteht nicht darin, dass wir allein sind,
sondern darin, dass du da bist,
denn vor dir versinkt alles im Tod
oder alles wird du.
Was nützte es uns, bis ans Ende der Welt zu gehen, um eine Wüste zu finden?
Warum hinter Mauern gehen,
die uns trennten von der Welt?
Denn du wirst dort nicht gegenwärtiger sein
als im Lärm der Maschinen
oder als in der Menge aus hundert Gesichtern.
Sind wir so kindlich zu meinen, all diese Menschen seien
groß genug,
wichtig genug,
lebendig genug,
um uns die Sicht zu versperren, wenn wir Ausschau halten nach dir?
Allein sein heißt
nicht,
die Menschen hinter sich gelassen
oder sie verlassen zu haben;
allein sein heißt
wissen,
dass du groß bist, o Gott,
dass du allein groß bist
und dass kein nennenswerter Unterschied besteht
zwischen der Unendlichkeit der Sandkörner
und der unendlichen Zahl menschlichen Lebens.
Wissen,
einmal im Leben nur,
daß einzig du bist!
Einmal nur begegnet sein
und dies vielleicht in einer wirklichen Wüste -
dem Dornbusch, der brannte und doch nicht verbrannte;
im Dornbusch dem, der in uns und für immer begründet hat
die Einsamkeit.
Moses, der einmal begegnete dem unaussprechlichen Dornbusch,
konnte zurück zu den Menschen,
denn er trug in sich eine unzerstörbare Wüste.
So auch wir:
Werfen wir der Welt nicht vor
und auch nicht dem Leben,
daß sie uns das Antlitz Gottes verhüllen,
Finden wir es,
dies Antlitz,
so wird es selbst
alles einhüllen, alles aufnehmen in sich.
Lassen wir unsere Kindereien.
Das Holz, das im Feuer brennt, kümmert sich nicht um die Landschaft.
Wir leben in einer verschwenderisch heißen Glut.
Sengt sie uns nicht,
dann,
weil unsere Füße daneben sind,
denn an Holz fehlt es nicht.
Was macht es aus, welchen Ort wir in der Welt haben,
ob er voller Menschen ist oder öde;
wo immer wir sind, sind wir "Gott mit uns",
wo immer wir sind, sind wir "Enmanuel".
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